Maya

Selbst wenn ich es wollte, könnte ich die einzelnen Personen auf diesem Foto nicht mehr nach ihrer Einwilligung zur Abbildung fragen – sie leben nicht mehr, bis auf das Mädchen in der ersten Reihe rechts, es ist inzwischen eine 95-jährige heitere Dame im Seniorenheim. 

Ich erlaube mir also, das Gruppenfoto zu zeigen; ich nutze es nicht zu kommerziellen Zwecken, wohlan drum sei es:

Die Abgebildeten sind zwischen 1880 und 1930 geboren. Mich interessiert jedes dieser Gesichter, doch ein Gesicht interessiert mich besonders. Nennen wir die darauf Abgebildete ihrem Wesen nach Maya

Maya hatte bei Fototerminen die Angewohnheit, entweder weit hinten im Bild und möglichst unscheinbar sozusagen geradezu zu verschwinden. Oder – das zeige ich später einmal – sie stellte sich ganz in den Vordergrund in sichtlich auffälliger Kleidung.

Gleich ob ganz hinten oder ganz vorne, sie fühlte sich anscheinend unwohl bei solchen Terminen und wäre am liebsten gar nicht erst erschienen oder bis zum letzten Moment aus dem sie beengenden Setting rausgesprungen. Maya war eine Wilde!

Bei diesem Foto hatte sie die Variante eins gewählt: ganz hinten und möglichst unsichtbar und mit Abstand am weitesten vom Fotograf entfernt.

Wenn ich nur dies von ihr geerbt hätte, hm… auch ich versteckte mich bei unseren Familienfotos im Hintergrund. Oder, wenn es sein musst, tat ich genau wie Maya und posierte beispielsweise in weißen Handschuhen (keine Anspielung auf Peter Handke) vorn in der Mitte – dazu gibt es ein Foto aus der Grundschulzeit.

Nun, hätte ich nichts anderes von Maya, wie ich hier meine Großmutter nenne, geerbt, wohlan, dann würde ich nicht auf die Idee gekommen sein, hier über sie zu schreiben. 

Gruß