Frau Maurer starb als 98-jährige weise Frau. Kurz vor ihrem Tod besuchte ich sie noch. Sie wisse nicht, was sie dort erwarte, wo sie bald sein werde, sagte sie gelassen und doch auch mit banger Angespanntheit.
Als allerletztes sagte sie: «Und dann ist da noch immer die Frage, auf die ich keine Antwort weiß: Was ist Liebe?»
Goethe unterschrieb manche seiner Briefe mit der Wendung: «Lieben Sie mich!» – Es ist sicher nicht falsch, sondern sogar wichtig, ja entscheidend, dass wir von anderen Menschen geliebt werden. Angefangen bei der Mutter, die für uns als kleines Kind eine Zeit lang die wichtigste Bezugsperson war (allen gegenwärtigen, diese Tatsache verwässernden Theorien zum Trotz). Erwachsene leiden ein Leben lang daran, dass sie damals von der Mutter nicht genug Liebe bekommen haben, fast alle tun das. – Wir müssen es hinnehmen und damit zurechtkommen irgendwie.
Das einzige Momentum, wo ich frei, selbstaktiv und ohne Gefährdungen durch andere Menschen am Schräubchen der Liebe drehen und die Liebe groß bekommen kann, bin ich selbst.
«Liebe Deine Seele» hauchte mir kürzlich ein Teebeutelspruch über den Rand der Teetasse entgegen. Ach ihr platten Sprüche mit euren einfachen Handlungsanleitungen, dachte ich leicht genervt.
Doch der Spruch trifft ins Schwarze. Es ist etwas vom Schwersten, die eigene Seele anzunehmen, zu streicheln und bedingungslos zu lieben, doch wenn es gelingt, die eigene Seele und das eigene Wesen ohne Einschränkung zu lieben, sich selbst das Mitgefühl zu geben, das niemand sonst mit Sicherheit geben kann, dann hat das Leben im Quellgrund seiner tieferen Sinnhaftigkeit einen Anker gefunden.
Wir sollten uns darüber austauschen, wie einzelne von uns den Weg in diesen Quellgrund gefunden haben oder sich ihm anzunähern im Begriff sind.