Meine Großmutter sei ein Abgrund, habe ich unlängst geschrieben.
Sie so zu charakterisieren wäre einseitig und irreführend. In ihr gab es Abgründe, doch genauso auch einen Himmel über ihr, wie dieser Bildausschnitt zeigt:
Die untere Bildhälfte ist dunkel, fast schwarz. Ich habe Geschichten gehört, die beweisen, dass es so in der Seele der Großmutter ausgesehen hat. Doch ich habe auch erlebt, wie ein Himmel über ihr aufgehen konnte und die Sonne schien – etwa wenn sie lächelte.
Hermann Melville hat in Moby Dick einen Satz geschrieben, der auch zum Leben meiner Großmutter passt.
Er schrieb:
«Methinks that in looking at things spiritual, we are too much like oysters observing the sun through the water, and thinking that thick water the thinnest of air.»
Textnah übersetzt:
«Mich dünkt, dass wir beim Betrachten von geistigen Dingen zu sehr wie Austern sind, die die Sonne durch das Wasser betrachten (observieren) und das trübe Wasser als die dünnste Luft (zurecht)denken.»
Bei der Großmutter muss nichts zurechtgedacht werden – sie war wie eine Auster, die in den Schlammschlachten des Lebens immer wieder Licht sah. Und einen Teil von dem, nicht das Ganze, aber einen Teil von dem, was von außen auf ihrem schweren Leben lastete, umgab sie so lange mit Schichten von Perlmutt, bis später aus der Auster Perlen geborgen wurden.