Galgennarrativ

Das Wort «Galgenhumor» ist salonfähig, auch wenn seine Herkunftsgeschichte wenig bekannt ist. Mir reiben sich, das beobachte ich schon länger, bei diesem Wort die verschiedenen Bahnen meiner Hirnwindungen und ich frage mich immer wieder, was passieren müsste, dass ich angesichts des für mich bestimmten Galgens in humoriges Lachen auszubrechen vermöchte.

Das Wort «Galgennarrativ» ist mir eingefallen, als ich über Narrative schreiben wollte. «Gegennarrative» gibt es, doch bisher kam noch niemand auf die Idee mit dem «Galgennarrativ». Es meint, dass, gleich welche Narrative, ob gängige, in den Medien mitgeteilte, oder so genannte Gegennarrative, wie sie in den Medien gefiltert oder gar nicht mehr transportiert werden, also gleich was für Narrative in Anschlag gebracht werden, es sind Verirrungen, verhängnisvoll wie Leichen, die mit einem Strick um den Hals über dem Boden baumeln und vom Wind gewiegt werden.

Gestern hörte ich von zwei guten Freunden, beide klug, gebildet, engagiert, sich auf differenzierte Weise ihre Meinungen selbst bildend (wie sie glauben), wie sie zu zwei Narrativen Zuflucht nahmen, die sich komplett ausschlossen, in ihrer Wirkenergie jedoch gleichermaßen aggressiv waren, so absolut, dass es mir die Sprache verschlug. Es ging um Krieg und Kriegsschuld, wie könnte es zur Zeit anders sein?!

Deshalb denke ich: Lieber kein Narrativ bemühen. Lieber überall aus den Narrativen ausbrechen, mit denen ich einen Schlüssel zum Verständnis der Vorgänge in der Welt zu haben meine. Lieber aus den Zusammenhängen, die meine Narrative mir vorgaukeln, rausspringen und Neuland suchen, für das ich noch keine Sprache habe. Lieber stammeln wie seinerzeit die Hofnarren, die als einzige Dinge sagen durften, die der Wahrheit näher standen als alles, was der König und seine Minister sagten. Wenn schon ein Narrativ, dann ein Hofnarrennarrativ oder eben «Galgennarrativ», denn die Hofnarren brachten sich leicht an den Galgen mit ihren lockeren Sprüchen. Sollte es heute noch Hofnarren geben, ist das immer noch so, dass sie gefährlich leben, gefährlicher als alle die anderen mit ihren moralingesäuerten Narrativen, die, genau betrachtet nichts anderes sind als gedankenferne Ideologien.

Wie auch immer, ich bin seit einigen Tagen glücklicher Besitzer neuer Joggingschuhe. Teure Dinger, dem natürlichen Verhalten des Barfußlaufens nachempfunden und dennoch mit der nötigen Federung versehen. Die schnüre ich mir an die Füße, und als wäre ich in die Pantoffeln des kleinen Mucks geschlüpft, enteile ich den Grobheiten dieser Welt.

Herzlich