Wenn du von allen Seiten (fast wollte ich sagen: von links und von rechts…) mit ultimativ neuen Informationen und Gesichtspunkten zum derzeit wichtigsten Tagesthema eingedeckt wirst, ist Alarm angesagt. Niemand fragt dich mehr, ob du das möchtest oder ob dich das interessiert, ob dir das gut tut oder überflüssig erscheint, nein, du wirst einfach als Quotenfreund auf die Seite des anderen gezogen. Denkst du nicht so über Corona oder Herrn P. wie ich, können wir nicht weiter Freunde sein.
Das Erschreckende daran, abgesehen davon, dass unnötig wertvolle Freundschaften aufs Spiel gesetzt werden, scheint mir gar nicht so sehr die Zusendung von Infos an sich zu sein, sondern die Überzeugung, damit etwas unhinterfragbar Gutes zu tun.
Wie mit diesem zur Zeit grassierenden Phänomen umgehen? Ich weiß es nicht gut. Ich habe einen Freund, der mir regelmäßig Zeitungsaritkel, Youtubes und anderes schickt, lauter Dinge, die ich seiner Meinung nach unbedingt wissen muss, Sachen über den Krieg in Europa und über Schuldige und Opfer. Seine gut gemeinte digitale Post kommt schlecht an bei mir und ich frage ihn dann auf ebenfalls digitalem Weg, ob er wissen wolle, was ich von dem, was er mir geschickt habe, denke. Er scheint keine Zeit für eine Antwort zu haben, sagt weder ja noch nein, sondern schickt stattdessen lieber neue Zeitungsartikel, die ich, wie er meint, unbeding lesen muss.
Ich beobachte, dass viel Energie darauf verwendet wird, gut sein und Freunde vom Guten überzeugen zu wollen. Bei diesem Tun vermisse ich neben der Hingabe an das Unterscheiden-Wollen vor allem die Wärme des Freundes.
Was ich mir weiterhin erhoffe, ist, dass dieser ganze gutgemeinte Mist, der auf den übrigen Mist noch obendraufkommt, den Weg frei macht für Neues, Gutes. Und das Gute an den Bedrängungen und Zurechtmachungen von oft sehr schnell gefassten und zu wenig gründlich recherchierten Gedanken ist die Einsicht, dass ich Techniken in meiner Seele finden muss, die es mir erlauben, liebevoll zu bleiben. Liebevoll und angstfrei mit diesem Phänomen umzugehen, das ist doch etwas Gutes. Gut ist auch, Fragen zu stellen. In einer so schnellen, unspirituell erscheinenden Welt sind Fragen manchmal der letzte Rest an Spiritualität, den wir noch mobilisieren und in Austausch bringen können.