Ich hatte es kürzlich von der Mutter meiner Großmutter und davon, dass ich das Kommen meiner Urgroßmutter im Herbst 1888 und Nietzsches letzten Engadinaufenthalt, ebenfalls im Herbst 1888, als Staffelübergabe empfand.
Doch Staffelübergabe für was? Die Antwort ist ein einziges Wort: Der Abschied nehmende Nietzsche hinterließ meiner Urgroßmutter die EINSAMKEIT (oder soll ich sagen die MELANCHOLIE, gar die DEPRESSION).
Nietzsche war ein einsamer Mensch mit einem Hang zur Melancholie – und die war so schwarzgallig, dass er nahe an einer Depression war. Bei der Urgroßmutter war es genauso.
Aber ich wollte etwas anderes erzählen: Kürzlich sah ich, wieder einmal, den Film Bagger Vance von Robert Redford. Im Film ist an zentraler Stelle vom «authentischen Schwung» die Rede. Es braucht ihn, um im Leben etwas Gedeihliches zu schaffen.
Nietzsche hatte den authentischen Schwung.
Die Urgroßmutter hatte ihn auch.
Und ich?
Na, ich war im Engadin als dieser und als jener, mal als Kletterer, dann als Caddymaster und (da ich eine Golfausrüstung geschenkt bekam) auch als Golfer – und ich war Vortragsredner im Hotel Waldhaus und dort tagelang Gast in einem der schönsten Zimmer.
Ich habe im Engadin beide Seiten der Fahnenstange erlebt, die Seite der Einsamkeit, des Herumirrens und Suchens, und ich war, wie gesagt, Vortragsredner im Luxushotel, wo auf einem Büchertisch Bücher von mir auslagen und Leute im Dunst ihrer eigenen Bedeutung meine Nähe suchten und dies und jenes (ausgerechnet) von mir erfahren wollten («Warum lautet der Buchtitel ‹Tod durch Granit› und nicht ‹Tod im Granit›?).
Und Frühstück auf dem Zimmer gab es und ich hatte einen eigenen Morgenmantel. Und die ganze Fünf-Sterne-Wellness-Welt lag mir zu Füßen.
Ich fühlte mich wohl und auch wiederum nicht. Ich machte mit – und ich verweigerte mich.
Zum Beispiel lieferte ich einen druckreifen Vortrag ab (ich machte mit).
Wissend, dass Prof. Dr. Phil. Habil. Pestalozzi, der vielleicht wichtigste Mann des Nietzsche-Kolloquiums, keine Freude daran haben würde, wählte ich ein Thema, das ihn als Nietzscheverehrer und (noch mehr) Thomas-Mann-Verehrer beelenden musste (ich verweigerte mich). Ich sprach über die dümmliche, unadäquate, ja peinlich deplazierte Umgehensweise von Thomas Mann mit dem Werk Nietzsches.
Meinen Morgenmantel nahm mir niemand. Auch der Zutritt zum Wellnessbereich blieb mir. Sogar die Gespräche im Speisesaal des Hotels gingen weiter, als wäre nichts geschehen. Doch für diesen wahrlich liebenswerten Prof. Dr. Phil. Habil. war ich nach Beendigung meines Vortrags einer vom anderen Ende der Fahnenstange.
Am anderen Ende der Fahnenstange war auch meine Urgroßmutter. Und Nietzsche war es eigentlich auch. Ich reihe mich gerne bei ihnen ein.
Am Ende geht es doch darum, mit sich im Reinen zu sei, statt sich für andere zu verbiegen. Verbogen haben wir uns alle drei nicht, gell Nietzsche, gell Tata Mengia 😉, Allerdings haben wir uns nicht deshalb kein bisschen nicht verbogen, weil wir Heldinnen und Helden wären, nein, manchmal geht es einfach nur so…