Ein Freund sagte kürzlich: «Wir sind gerade dabei, den Sozialen Code zu verspielen!» Er meinte damit eine Begriff zu nennen, der in der Gesellschaft allbekannt und allen bewusst sei und den wir trotzdem und bedenkenlos verspielten, indem wir jeder wie des anderen Todfeind erscheinen, ihn selbst als einen solchen betrachten und deshalb Berührung, Kontakt, Wahrnehmung, Interesse, alles, was uns bisher verband, wegrationalisieren und Distanz wahren, schließlich könnte im Gegenüber ein Feind stecken, in jedem Gegenüber, in schlichtweg jedem menschlichen Gegenüber, ein Feind, der es auf mein Leben abgesehen hat.
Ein anderer Freund sagte, er sei bis vor gut einem Jahr schlichtweg so «zivilisationsmüde» gewesen, dass er kein Land mehr gesehen habe für seine erloschene Liebe zu den Menschen, doch seit Corona interessiere ihn das Soziale plötzlich wieder und es gehe ihm wie Schiller, der gesagt hat, er möchte für kein anderes Zeitalter leben und dienen als eben genau für das, in welchem er lebe.
Ich stehe dazwischen. Für die Brisanz des gegenwärtigen Zeitalters aufgeschlossen und die weltweit sichtbar werdenden Phänomenen erkennend, bin ich ebenfalls neu am Leben interessiert und begeistere mich für die Verbindung zwischen uns Menschen, suche überall das seelische Gleitmittel, das unsere Begegnungen geschmeidig macht und spüre, wie sich mir die Nackenhaare aufstellen und die Augen weiten, wenn ich mir eine Menschheit vorstelle, die den Sozialen Code zu verlieren droht.
Ein Gedanke hilft mir dabei. Um ihn so recht hochzuladen in der Wärmegegend des Herzens, behelfe ich mir mit der Etymologie. Die Herkunft des Wortes ‹Schicksal› hat zwei verschiedene Verläufe, einmal ist Schicksal die passiv zu ertragende Schickung von außen. Auf den Sozialen Code übertragen würde das heißen: Wenn diese menschliche Errungenschaft verloren geht, ist es Schickung und höhere Fügung, da kannst Du nichts dagegen unternehmen. Der andere Strang stellt sich dieser Haltung der Schicksalsergebenheit entgegen, denn im Wort ‹Schicksal› ist auch das Adjektiv ‹geschickt› enthalten und dies nicht nur im Sinne, dass mir etwas geschickt sei, sondern auch, dass mir das Geschick obliegt, etwas zu gestalten und zu verändern. Ich muss mir nur die Mühe machen, in dieser oder jener Situation geschickt zu sein und schon bin ich dabei Schicksal zu verändern und einem Revival des Sozialen Codes aufzuhelfen.
In diesem Sinne grüße ich, herzlich