Glück des Verzichts

Im Augenblick umgibt mich das Glück, erkauft mit einer Schleppe der Trauer, Bild meines Bemühen, dieses Glück anzunehmen ohne das Band (die Schleppe) zwischen mir und den Menschen durchzuschneiden.

Im Augenblick ist unser am morgen bei schönstem Sonntagswetter gefasster Entschluss, zu Hause zu bleiben und um das Haus herum zu sitzen und das Gartentor heute unberührt zu lassen und nicht rauszutreten vor das Grundstück, auf dem wir wohnen, mein Glück.

Nicht unglücklich sein über den Lärm, diesen Lebenshungerlärm in den aufgeregten Worten vorbeispazierender Familien, die Straße zum Wald hochfahrenden Radler, die dann im Grün der Buchen veschwinden, die Motorflugzeuge über uns, die aufheulenden Motorradmotoren aus der Stadt.

Gestern abend spazierten wir im schwindenden Sonnenlicht an Häusern vorbei. Einsamkeitsgefühle, obwohl wir zu zweit unterwegs waren. Im Garten eines der Häuser, das vor zwei Jahren eine neue, lebensfrohe Gestalt annahm, als ein junges Paar mit Kindern und dem nötigen Kleingeld einzog und aus dem Anwesen ein Paradies schuf, standen und saßen Männer und Frauen um einen mitten in die Wiese gestellten Grill, zwischen ihnen, hin und her rennend, Kinder. Es roch nach Feuer, verkohltem Fleisch, Gemütlichkeit und Rückkehr (wir haben das Recht zurückzukehren ins normale Leben, das uns lange genommen war), verstörend im ersten Moment, weil so normal und gleichzeitig nur für Menschen möglich, die geimpft seien oder eine aktuelle Bescheinigung eines Negativergebnisses dabei hätten.

Dieses Band nicht durchtrennen, im Geiste nicht und nicht in der Begegnung oder Begegnungsverhinderung oder (nach Buber) ‹Vergegnung›. Mit ihnen im Gespräch bleiben, wo es sich ergibt, es mit ihnen suchen, wo es sich nicht ergibt. Wenn Geimpfte und Nichtgeimpfte nichts mehr miteinander zu tun haben, was ist dass dann für eine Welt?

Solange wir uns um das Band bemühen, bricht dieser ganze Bettel Menschheit noch nicht entzwei. Ein Buddhalächeln gegen Gewissheiten. Das Glück heute daheim zu bleiben und die mir selbst auferlegte Bescheidenheit als meinen Entschluss zu feiern und nicht als Not. Es ist kein Makel, noch ist es kein Makel, nicht geimpft zu sein und es besteht für heute für mich kein Anlass, irgend einen Test vorzunehmen. Und es besteht auch kein Anlass, von einer Zweiklassengesellschaft heut schon zu sprechen. Wir haben es gemeinsam in der Hand.

Aber ich bleibe für heute zu Hause, ohne ‹Aber›, das Unwort sei sofort wieder gestrichen, macht mich mein Entschluss doch nur froh und wird zum lebendigen Beweis, dass es ein Glück des Verzichts gibt – mein Glück und meinen Verzicht.

So, nun mus ich wieder vors Haus, wo’s laut hergeht und das vielgestaltige Insektengebrumm der geringste Lärm ist, denn es geht heute im inzidenzhöchstwertegeplagten Kassel ganz schön laut und lebensfroh zu, 

herzlich