Habe ich heute schon etwas gedacht? Wenn nein, dann wäre ich ja seit Stunden in höheren Zuständen, vergleichbar mit buddhistischen Mönchen oder zenbuddhistischen Meistern, die stundenlang vegetieren, natürlich in höheren Gefilden vegetieren, und dies ohne irgendwo und irgendwann an einem Gedanken hängenzubleiben.
So ist es aber nicht. Ich bin längst in Gedanken. Wie denn aber ist das genau? Handelt das, was ich hier schreibe, von diesen Gedanken? Kann ich nur etwas in den Tagesgedanken mitteilen, wenn ich davor etwas gedacht habe? Irgendwie doch wohl schon. Also Klappe halten, wenn heute bisher nichts gekommen ist?
Das sind ja richtig gute Fragen, finde ich. Würde ich nur dann zum Schreiben berechtigt sein, wenn vorher ein neuer Gedanke oder gar mehrere neue Gedanken da gewesen wäre(n), gäbe es weit weniger Mitteilungen. Lesenswerte Mitteilungen entstehen nämlich genau dann, wenn am Anfang nicht klar ist, wo es hingeht. Am besten ist, wenn anfangs gar nichts klar ist. Auch wenn noch kein Gedanke da ist, ist schon so viel da: Der Mensch, am Schreibtisch sitzend, wissend, wie er die Tastatur bedient, sein Stoffwechsel funktioniert, die Organe arbeiten still vor sich hin, ein riesiges Netzwerk ist anwesend, eine Vor-Denk-Fabrik, die auf Hochtouren arbeitet, noch lange bevor der Gedanke erscheint.
Und auch wenn heute weiterhin keiner erscheint und auch nicht mehr erscheinen, jedenfalls nicht in den Tagesgedanken festgehalten werden wird, findet längst die Verfertigung des Gedankens beim Schreiben statt, Heinrich von Kleist hat zu diesem Thema Vorzügliches geleistet.
Somit kommt mein heutiger Tagesgedanke zu seinem Ende, bevor er den Vorhang vor irgendetwas gehoben hat, das durch mich im Kleid der Sprache erscheinen würde.
Das freut mich und ich grüße, herzlich