Meine «portative Heimat»

In den letzten zwei Monaten war ich viel in Graubünden zwischen Bergen und mit Menschen zusammen, die mir nahe waren. 

In dieser Zeit schrieb ich für die Lilliy Keller Stiftung einen Text als Dank dafür, dass ich in ihren Räumen sein durfte. In ihm geht es um Heimat und Heimatgefühle. Diese Begriffe werden zur Zeit durch die «identitäre Bewegung» gekapert und neu besetzt. Also Vorsicht.

Sind meine Heimat die Berge? Ist es der Dialekt? Die Luft? Das Licht? Die Höhenluft? Das Höhenlicht? Sind es einzelne Menschen? Ist sie es allen voran eine bestimmte Person, der ich mich einst nicht offenbaren konnte? Auf was richte ich den Blick beim Wort «Heimat»? Ist Heimat etwas da draußen oder etwas in mir drinnen? – Vermutlich ist es ein e Mischung davon, doch was ist das ideale Mischverhältnis?

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Das konstanteste Heimatgefühl finde ich in der Sprache. Meine Sprache ist deutsch. Damit meine ich nicht den allemannischen Dialekt, den ich als Kind gelernt habe. Ich meine das Deutsche in seiner umfassendsten Dimension. «Hochdeutsch» möchte ich es nicht nennen, sondern einfach nur Deutsch.  Schweizerinnen und Schweizer sprechen es, doch es umschließt auch das Jiddische und das Deutsch aus dem österreichischen und deutschen Sprachraum.

Vielleicht bin ich nach Deutschland «augewandert», weil mir die Deutsche Sprache Heimat versprach. Ja, so fühlt es sich an.

Dieses Versprechen einer Sprache hat lange gehalten. – Zur Zeit begegne ich allerdings leider einem anderen Deutsch, es ist mir fremd, wirkt militant, eingleisig, aggressiv, insgesamt unfein, ahistorisch, agitativ und gefährlich. Deshalb ist mir die deutsche Sprache eine «portative Heimat» geworden. Diesen Begriff verwendete ein US-amerikanischer Jude, um seine Beheimatung zum Ausdruck zu bringen. Wenn er mit anderen Menschen in Amerika deutsch sprechen konnte, war das für ihn Heimat – das ist besonders berührend, wenn wir daran denken, was deutsch sprechende Menschen den Juden angetan haben. 

«Portative Heimat» – ich finde das ein großartiges Wort?! Es hat Witz und Bildmagie.

Ein «Portativ» ist eine kleine, tragbare Orgel ohne Pedale. Das ist ein schönes Bild für mein gegenwärtiges Lebensgefühl. Natürlich besitze ich keine solche kleine Orgel, doch ich höre ihre Musik, wo ich auch hingehe.

Herzlich