Zuletzt

So, es geht weiter mit meinen Tagesgedanken, die nun einige Wochen geruht haben. Nach Ende der documenta fifteen machte ich eine Schreibpause. Der Marathon durch die 100 Kunsttage war anstrengender als gedacht. Deshalb sind Berenike und ich danach für eine Weile abgetaucht, wir waren sogar weg, Kassel fühlte sich an wie seelisch verbrannte Erde, schwer und bis tief hinunter kontaminiert.

 

Was bei dieser documenta schief lief, hat der Dichter Novalis treffend auf den Punkt gebracht: «Der Grund aller Verkehrtheit in Gesinnungen und Meinungen ist Verwechslung des Zwecks mit dem Mittel.»

Die Sommermonate 2022 in Kassel waren leider keine Auseinandersetzung mit Kunst, sondern eine Schlacht von Meinungsdebatten, Totschlagaktionen, Verleumdungen, schlechten Politinszenierungen. Das hat heftig runtergezogen, wenn man, wie wir, in Kassel lebte und nah am Geschehen dran war. 

Inzwischen habe ich die Beiträge vom Netz runtergenommen und bei mir gespeichert. Vielleicht mache ich noch was aus ihnen. Hätte Lust. Meiner Einschätzung nach hat die Auseinandersetzung mit der documenta fifteen noch gar nicht begonnen. Ihr Gehalt, ihre Bedeutung, ihre Einmaligkeit – das alles ist offen geblieben. Es gäbe noch Schätze zu heben und Erkenntnisse zu harvesten.

Wenn jemand von euch Geld schenken will, mache ich ein Buch draus. Ich würde dazu meine Beiträge schenken. Eine promovierte Kunsthistorikerin, die, Sobat Sobat, also doumenta-Guide war, würde ihre Mitarbeit schenken. Weitere Schenkenrinnen und Schenker wären, denke ich, leicht hinzuzugewinnen. Mal sehen.

Ich wollte es lange nicht glauben, aber es ist fast nichts Schönes und Erhebendes zurückgeblieben. Passt zu unserer Zeit, sagen die Defaitistinnen, muss so sein, sagen die Klugscheißer, darf nicht anders sein, sonst wäre eitel Sonnenschein, wo schon lange keine Sonne mehr scheint.

Die mehr als 1.500 Künstlerinnen und Künstler sind wieder an ihre politisch teils prekären Lebensorte zurückgekehrt. Statt dass sie mit dem Adelszeichen internationaler Anerkennung abgereist wären, müssen sich viele von ihnen nun ihr Leben lang mit der Frage herumschlagen, ob sie nicht Teil einer antisemitischen Verschwörung gewesen seien. Als Antisemitin oder Antisemit verschrieen zu werden, ist ein Makel, der nicht mehr von der eigenen Vita runterzubekommen ist, nicht nur in Deutschland nicht, sondern nirgends nicht…

Ich bin sicher, es hätte anders ausgehen können. Gleichzeitig wüsste ich nicht, wo der Hebel anzusetzen gewesen wäre. Meine Beiträge verstand ich als Gewicht in der Waagschale des Zuspruchs und der Wertschätzung, wissend, wie ungleich die Gewichte der Meinungsbildung in unserer Gesellschaft verteilt sind.

Herzlich