In unserem Garten gibt es so viele Vogelarten wie der Adventskalender Türchen hat:
Achtzehn oben gelisteten, von mir als Laie leicht erkennbaren Vogelarten zeigen im Garten zur Zeit täglich ihre Flugkünste, plustern das Gefieder auf, ergeben sich mannigfaltigen Fressfreuden, aufgeregt und gierig, sie machen Hüpfgesten und fliegen elegant zu den Vogelhäuschen. Frohe Weihnachten.
Ich befreie am Morgen die Öffnungen der Futterschlitze, die durch die Nässe stündlich verkleben. Für die Freunde aus der Luft gibt es Mischfutter, gehackte Erdnüsse und ungeschälte Sonneblumenkerne, einmal in den Vogelhäuschen selbst, dann auf dem Boden, damit auch die Buchfinken, Tauben, Spatzen, Amseln gut hinkommen. Kaum habe ich das Futter ausgebracht und hinter mir die Gartentüre zugemacht, geht die Vogelpost ab. Diese kindlich heiteren Kreaturen freuen sich aufs Christkind, als wären es dreijährige Kinder. Frohe Weihnachten.
Die Kraniche sind natürlich nicht direkt im Garten, sondern fliegen über ihn hinweg, doch gleich, in welcher Jahreszeit sie über Kassel fliegen, für uns ist das jedesmal Weihnachten. Ähnlich die Schwalben und Mauersegler, auch sie kommen nicht bis in den Garten herunter, und dennoch bestimmen sie für eine gewisse Zeit das Leben im Luftraum über ihm.
Wir sitzen dann drin in gemütlichen Stühlen im warmen, aufgeräumten Wohnzimmer und bewundern durch das Fenster die gigantisch anmutenden Luftwesen, wie unscheibar klein manche von ihnen auch sind, am kleinsten und immer allein unterwegs der Zaunkönig unten im Wurzelwerk. Der Habitus, der Schmuck in frohem Federkleid und die stupende Flugtechnik, vor lauter Hingucken schlagen unsere unkontrollierten Gedanken heitere Pirouetten.
Die Vögel, die ich jetzt nocheinmal aufliste, haben wir heute schon zu Gesicht bekommen. Jede dieser Vogelarten erhält als Gruß zum neuen Jahr einen willkürlich und ohne erkennbaren Sinn hinzugesetzen Satz, wie mir solche zu hunderten gleichzeitig durchs Hirn schießen:
Tauben – dieser unbändige Zorn in mir gegen Kriegsproduzenten, denen Gewinne und steigende Aktien winken und die sich bei der nächsten Eskalationsspirale, nachdem Mensch und Erde und alle Kreatur geschändet sind, frohlockend in die Arme fallen und die Infrastruktur für den Wiederaufbau der kaputtgeschossenen Länder organisieren.
Eichelhäher – deutsche Sprache schwere Sprache, beispielsweise die deutsche Groß- und Kleinschreibung: helfen wir lieber alten Vögeln oder wollen wir Alten vögeln helfen?
Elster – ich habe gestern als letzten Einkauf im Getränkemarkt eine Kiste Bier eingeladen und mit schlechtem Gewissen gedacht: «So jetzt kann bei uns Weihnachten werden.»
Buntspecht – ich bin seit einigen Monate Mitglied bei Facebook und bin enttäuscht von diesem Medium. Ich halte es für eine schwache Erfindung und ärgere mich, dass einige Leute mit so einem Schwachsinn Milliarden scheffeln. Und noch mehr ärgere ich mich, dass Millionen halbwegs intelligente Menschen ihre halbherzigen Freuden auf Facebook teilen – neuerdings auch ich.
Kleiber – im Nahen Osten opfern Regierung und Militär eines Volkes ihr Nachbarvolk, hören wir in den Nachrichten. Ihr Blutopfer lenke vor den Probleme im eigenen Land ab, das kurz vor einem Bürgerkrieg steht, dem es ins Auge sehen müsse, wenn nach der Vernichtung der Nachbarn langsam wieder die Normalität im eigenen Land eingekehrt sein werde.
Gartenbaumläufer – Zukunft brauchen wir keine, was wir jedoch dringend brauchen, ist ein erweitertes Bewusstsein, was die Gestaltung der Gegenwart betrifft.
Zaunkönig – Rassismus ist übel: Die Jamaikaner sind die schnellste Sprinter der Erde: Die weltbesten Langstreckenläuferinnen stammen alle aus Nordafrika: Manchmal braucht es keine Religion, um sich für etwas Besseres zu halten, oft ist die Hautfarbe Ausschlag genug: Oder die Gestalt der Augenschlitze: Manche Einflussgebiete sind in den Händen von Eliten –alles ein großes Übel.
Buchfinken – was sind das für Familienfeste, bei denen Gespräche Zeitbomben sind?!
Grünfinken – wo ist Alexej Nawalny? Aus was für Fenstern schaut heute Julian Assange? Zählen sie wie wir die Vögelchen im Garten? Wohl eher nicht.
Gimpelmännchen und Gilpelweibchen – müssen wir unsere Freundschaften opfern, nur weil wir neuerdings über gewisse Dinge anders denken?
Blaumeisen – wenn der Papst unmittelbar vor Weihnachten von «Genozid» spricht und damit Israel verunglimpft, dann hat der jesuitisch geschulte kluge Mann ein recht unpassendes Wort gewählt, wenn er den Frieden im Sinn hatte.
Kohlmeisen – Sport ist nur eine besonders dumme Ablenkung zur Verbreitung und Ausbreitung des Egoismus.
Grünfinken – soll mir niemand kommen und den Generationen vor uns vorwerfen, dass sie Mitläufer waren und dadurch das Emporkommen von Regimen begünstigten. Ich weiß, was an der Grenze zu Europa und im Nahen Osten und in Afghanistan und in China und Russland und auch, was in Deutschland und der Schweiz geschieht. Das genügt, um mich zurückzuziehen und den weihnächtlichen Frieden wertzuschätzen.
Zwei Rotkehlchen – wenn wir akzeptieren, dass ein dritter großer Krieg auf dieser Erde kommt, wird die schöne Erde und es werden die Menschen und die übrigen Kreaturen ihr Leben lassen. Wie können alle diese Menschen glauben, dass Kriege unsere Probleme lösen können?!
Spatzen und ein Albinospatz – kennen wir denn die biografischen Hintergründe von gewissen Stastsberhäuptern und (deutschen) Ministerinnen so gut, dass wir klar genug wissen, von welchem Denken aus sie denken und reden?
Amseln – mögen uns die Götter helfen! Ja, ich weiß, auch dieser Wunsch müsste in die richtigen Worte gegossen werden, sonst sind wir wieder beim Papst.
Grünspecht – Musik muss her, und Rhythmus! Beides, wo Menschen sind. Und denkt an die ahnungslosen Tiere im Krieg, die auf der Flucht sind und nicht wissen, was sie tun.
Mit guten Wünschen zwischen den Jahren,