Ich bin meine Freunde

Was sind heute Freunde? Es sind Menschen, denen ich mich gründlich zumute, bei denen ich mich aktiv melde und denen ich versichere, dass der Austausch mit ihnen lebenswichtig für mich sei, egal was sie von der Regierung halten und wie sie über manche der für uns alle lebenwichtigen Dinge denken. So mit Freunden umzugehen ist für mich komplett neu!

Seit wir Menschen dabei sind, miteinander den Sozialen Code zu verspielen, der Jahrhunderte und bis ins 20. Jahrhundert unseren Umgang miteinander gesteuert hat, sind meine Freunde nicht mehr länger ein stolzer, stiller Besitz von Menschen, bei denen ich mich nach monatelanger Funkstille aus Freude oder in der Not melde, sie alle Schaltjahre mal anrufe und sie über irgendwelche Medien darüber in Kenntnis setze, was ich gerade tue und dass ich einfach mal ihre Stimme hören wolle.

Freundschaft habe ich immer als etwas verstanden, wo keine der beiden Seiten etwas muss. Ein Verbund größtmöglicher Freiheit bei vollkommener Verbindlichkeit ohne Verbindlichkeiten. Ich habe Freunde und Freundinnen, da genügt es, wenn wir uns alle Jahre melden und sofort ist die ganze Beziehungswärme, die unsere Freundeschaft ausmacht, da, wie auf Knopfdruck. Auf solche Freundschaften habe ich mich immer verlassen bisher. Das kann ich nun nicht mehr. Seit ich mich nicht mehr auf den Sozialen Code verlassen kann, muss ich sowohl bei mir als auch in der Beziehungspflege der anderen eine härtere, bewusstere, zeitintensivere Gangart fahren.

Nachbarn von uns, die ich als unsere Freunde bezeichnen darf, haben sich in den letzten eineinhalb Jahren in eine diametral andere Richtung als wir entwickelt. Das heißt, wir sehen lapidare Lebensthemen mit völlig anderen Augen an. Allein dies voneinander wahrzunehmen war einen Herausforderung, die unsere Freundschaft irgendwann an einem dünnen Faden hängen ließ. Doch solange noch ein Faden durchgeht, lässt sich um ihn herum wieder Substanz anreichern. Dies allerdings nur durch Mut und Engangement und Selbstaufgabe, durch Zurücknahme von Standpunkten und das Spitzen der eigenen Ohren, wenn man von Freunden etwas hört, was schmerzt.

Dies sollte uns eine Freundschaft immer wert sein. Und, bei Lichte besehen, so neu ist das alles nun auch wieder nicht. Ich habe wundervolle Freunde und Freundinnen, mit jeder und jedem von ihnen kann ich über Teilbereiche des Lebens reden, wie ich es sonst mit niemandem kann. So war es schon immer und so ist es auch jetzt, es waren immer und sind auch jetzt Teilbereiche. Manchmal verschieben sich diese Teilbereiche, doch deshalb eine Freundschaft aufzugeben, kommt mir nicht in den Sinn.

Freunde sind nicht mehr länger die stille Ersatzbank, auf der ich geduldige Menschen antreffe, die freudig und freundlich auf mich warten, heute fordert eine Freundschaft mehr, viel mehr. Das scheint meine Freiheit zu bedrohen, doch wirklich dünn wird um meine Freiheit, wenn ich meine Freunde deshalb verliere.

Herzlich