Niveau

Gerade eben ist bei uns im Wohnzimmer der Moral-o-mat umgefallen, dieses Ringbuch mit den drei Spalten, wo beliebig viele Varianten aufeinenader bezogener Worte und Satzteile zu mehr oder weniger sinnigen oder sinnentwerteten Sätzen gelegt werden. Der Zufallssatz, der beim Aufheben des Moral-o-mat vom Boden lesbar wurde, lautet: «Ungerechtigkeit ist sozusagen zutiefst menschlich», auf die drei Spalten des Moral-o-mat verteilt:

«Ungerechtigkeit ist

sozusagen

zutiefst menschlich»

Ungekehrt bedeutet dieser Satz, dass nicht alles, was zutiefst menschlich ist, auch schon gut sei. Menschlich Allzumenschlich nannte Friedrich Nietzsche eins seiner die Schwächen von uns Menschen entlarvenden Bücher. Was zutiefst menschlich ist, ist je nachdem der Verwandlung, der Umkehrung ins Gegenteil bedürftig. Bei der Ungerechtigkeit sagen die meisten wohl doch, dass sie etwas unmenschliches sei. Diese Unart des Menschseins sollte ins Gegenteil verwandelt werden. Oder etwa nicht? Mark Twain hat in einer Geschichte gezeigt, wie es uns geht, wenn uns Geschichten aus dem Leben darüber unterrichten, dass Ungerechtigkeit das Normalste auf der Welt sei. Zwei Brüder, einer ist gut, der andere grottenschlecht, werden in der Geschichte von Twain vorgestellt. Der eine macht lauter schräge Dinge und es geht ihm gut und immer besser, er wird geliebt und gelobt und hat ein gutes Leben. Der andere ist um das Menschliche bemüht, überall und in jeder Lebenssituation, und er zieht in dieser Geschichte überall die Arschkarte, wird verprügelt, betrogen, gehasst und er hat ein wahrlich schlechtes Leben. Die Leser, die meisten jedenfalls, sehnen sich irgendwann nach einer Wende, denn in ihnen hat sich schon lange so etwas wie eine Moral der Geschichte herauskristallisiert und die besagt, dass der Gute doch irgendwann seinen Lohn und Frieden finden soll. Mark Twain machte sich einen Spaß daraus, diese Erwartung zu unterlaufen.

«Man sollte immer anständig spielen, wenn man die Trümpfe in der Hand hat,» sagte Oskar Wilde einmal. Das wäre der Anfang von Gerechtigkeit. Ein utopisches Gesellschaftsmodell? Ich fürchte ja. Und vertraue darauf, dass es doch viele Leute gibt, die auch ohne Utopien anständig spielen. Das macht durchaus viel Freude und Spaß, auch wenn die Spielverderber das nicht so ohne weiteres glauen und erst auf den Geschmack kommen müssen.

Gruß