Allein schon das Wort ist ein Alptraum. «Schwizzerdütsch»? Wie wird das richtig geschrieben?! Mit zwei «i» oder mit einem? Mit zwei «ü» oder einem? Vor allem aber die Frage: Hat dieses Wort, egal wie wir es schreiben, überhaupt eine Bedeutung? Nein, hat es nicht, denn das Wort hat keinen, aber auch gar keinen Inhalt. Somit ist es auch egal, wie wir es schreiben. Hauptsache wir reden nicht mehr davon.
Wenn ich mit meinen Cousinen und Cousins rede, dann in meinem Dialekt. Und sie reden natürlich nur in ihrem Dialekt. Und unsere Dialekte sind alle anders, sogar die meiner Geschwister und auch wiederum die meiner Kinder. U. J., K., J., H., R., H. und J., auch A. sprechen einen ähnlichen Dialekt, ich liebe ihn besonders, sie wohnen im Prättigau zwischen Landquart und Davos. Sie reden wie meine Mutter, nämlich im Walserdialekt. Na, das sage ich nur unter großem Vorbehalt, denn ebensowenig wie es «Schwizzerdütsch» gibt, gibt es einen allgemeinen «Walserdialekt». Meine Prättigauer Verwandten reden alle ähnlich, aber je nach Dorf mit eigener Prägung. Da kommen mir die Fideriser in den Sinn, A., E., R., E., alles Frauen und nicht so ganz echte Cousinen, aber ich zähle sie dazu, weil wir zeitweise fast miteinander aufgewachsen sind. Sie reden so, wie man in Fideris redet, sowohl ihr Vater als auch ihre Mutter waren schon in Fideris aufgewachsen. Wenn ich mit einer dieser ‹Cousinen› rede, entsteht sofort eine Hochdruck-Schönwetterlage und die Sonne scheint. Eine von ihnen, nämlich R., arbeitete mal in einem Pub in Flims, da war ich mal mit meinem Freund G. aus Chur. Als er sie, wie sie uns das bestellte Getränk über den Tresen reichte, reden hörte in ihrem Dialekt, sagte er begistert zu mir: «Du, dia würdi usem Schtand soffort hürota, nu wäg ihrem Dialeggt!» Er strahlte.
Mein Cousin R. lebt ebenfalls im Prättigau, aber er hat einen anderen Einschlag, seine Schwestern erst recht, die leben in Lichtenstein, Zwillinge, und das hört man natürlich stark heraus, auch bei ihnen lacht mir das Herz, wenn sie drauflosreden.
Über meine Leute in Chur müsste man Bücher schreiben, alle sind wir in Chur groß geworden, doch da wir alle in etwas anderen Cliquen aufgewachsen und in andere Schulen gegangen sind und weil unsere Eltern alle verschieden lang in Chur gelebt haben, redet jede und jeder von uns in einem etwas anderen Churer Dialekt.
Das ist erst der Anfang. Ein weiteres großese Kapitel sind meine sechzehn Cousinen und eine etwas kleinere Menge Cousins aus dem Bündner Oberland. Ihre Muttersprache ist das surselvische Idiom des Rätoromanischen. Wenn wir miteinander deutsch reden, wird es abenteuerlich. Mein Papa redete mit mir stets in einer Sprache, die er eigentlich gar nicht beherrschte, es war im weitesten Sinne «Schwizzerdütsch», also etwas, das es so nicht gibt. Manche meiner Oberländer Verwandten sind übrigens ins Engadin abgewandert. Sie sprechen inzwischen ein anderes Idiom des Rätoromanischen und mit ihren Verwandten im Oberland, die wie sie eigentlich nur romanisch sprechen, reden sie auf Schweizerdeutsch – vermutlich deshalb, weil sie den Dialekt ihres Gegenübers, auch wenn mit ihnen verwandt, nicht mögen.
Ein weiteres Kapitel sind die Geflüchteten, meine Schweizer Verwandten im Refuge-Status, zumindest was den Dialekt betrifft. Ich meine diese bemeitleidenswerten Kreaturen, die ins Unterland, nach Zürich, ins Argau, nach Appenzell, nach Glarus, irgendwo in andere Schweizer Kantone abgewandert sind. Manche von ihnen, schlimm, wirklich, haben etwas von den Dialekten aufgenommen, die dort gesprochen werden. Damit haben sie selbstverständlich ihren mitgebrachten Dialekt verwässert, pervertiert, erdrosselt, gelyncht, wirklich schlimm, und gleichzeitig auch lustig, denn da gibt es super Stilblüten ins Anekdotenbüchlein zu schreiben.
Soll mir jedenfalls nur niemand mehr mit diesem Schweizer Unwort des Jahres, mit dem «Schwizzerdütsch» kommen. Damit haben wir Schweizer nichts zu tun.
Wir Schweizer? Ich lebe seit 26 Jahren im Ausland, eben in Kassel. Na und?! Was mich betrifft, gehöre ich zu den rühmlichen und wenigen Ausnahmen, die auch in der Diaspora ungebrochen ihren Dialekt sprechen und gar nichts , aber schon rein gar nichts Fremdes angenommen habe, ich schwör’s, herzlich