Im Hintergrund der Entscheidungen um eine massive Aufrüstung der deutschen Armee (wollte grad «Wehrmacht» schreiben, da erstarrten meine Finger über der Tastatur) lauert eine verhängnisvolle Konstellation. Die frisch gekürten Politierinnen und Politiker wollen das Jetzt gestalten und nichts außerdem. Damit legen sie keine deutsche Geisteshaltung an den Tag, sondern eine amerikanische.

Johann Wolfgang von Goethe und der US-Amerikaner Barnett Newman

Von Goethe wollen sie nichts hören, die geistfernen Grünen und Roten, möchte ich schimpfen. Goethe sagte: «Wer nicht von dreitausend Jahren sich weiß Rechenschaft zu geben, bleibt im Dunkeln unerfahren, mag von Tag zu Tage leben.» Mit dieser Sentenz ist unser Geschichtsbewusstsein angesprochen. Dies verweigern die Enkel der Kriegsgeneration. Sie wollen mit dem Wahnsinn ihrer Eltern und Großeltern nichts mehr zu tun haben und ergehen sich in fanatischem Vergessen. Sie sind deshalb bedroht, gerade das zu tun, was sie nie wollten, nämlich deren Wahnsinn in verwandelter Form zu wiederholen.

Barnett Newman sagte: «The Sublime is now.» Mit diesem Satz verband der Maler und Philosoph eine Kritik am abendländisch-europäischen Kulturverständnis, das sich auf Tradition und, wie er meinte, Mythologien bezog, eine Haltung dem Leben gegenüber, die vom Ergreifen des gegenwärtigen Moments ablenke. Newman feierte die Geistesgegenwärtigkeit der amerikanischen Kultur, die heute, einige Zeit nach ihm, in einer Gegenwartsbesessenheit zum Ausdruck kommt, die weder mit dem alten Ausspruch carpe diem (nutze den Tag, mach was aus ihm) etwas zu tun hat noch mit einer spirituellen östlichen Geisteshaltung, die aus ganz anderen Gründen ebenfalls auf die Qualität des Jetzt hinweist.

Tja, und nun regiert eine unerfahrene Truppe wortlauter Politikerinnen und Politiker das Land, das von keinem seiner Landsleute so wenig zu lernen bereit ist wie von Goethe. Und rüsten auf wie die total Bekloppten, statt sich auf die historische Aufgabe des Landes zu besinnen. Und glauben, den Augenblick im Sinne Barnett Newmans greifen zu können, was ihnen, wie ich vorhersehe, gründlich misslingen dürfte.