Beim Fingernägelschneiden

Mich erschleicht ein herrliches Gefühl, wenn ich mir die Fingernägel schneide. Es soll so viel von ihnen weg, bis die Nägel schön kurz sind. Doch es darf nur so viel weg, dass es sich angenehm anfühlt, denn zu kurze Nägel tun solange weh (nicht die Nägel, vielmehr die in Mitleidenschaft gezogene Haut darunter), bis die Nägel wieder nachgewachsen sind. Beim Schneiden überwiegt die Freude, es ist ein in mich gekehrtes Geschehen, bei dem ich achtsam mit meinem Körper umgehe, Totes von Lebendigem scheide, Erneuerung erfahre, großartig, eben: herrlich.

Heute beim Fingernägelschneiden durchbohrte mich die Frage: Mache ich alles richtig? Gibt es irgendetwas zu bedenken, das ich nicht weiß, weil ich mich auf diesem Gebiet nicht genügend kundig gemacht habe? Kann es sein, dass es Ratgeber für das Fingernägelschneiden gibt?! Immerhin werden die zwanzig Hornhautausstülpungen an den zwanzig Endgliedern meiner Extremitäten bis zu meinem letzten Stündlein und noch etwas darüber hinaus wachsen. Gibt es gar Langzeitstudien, die die letzten Wahrheiten über falsches und richtiges Nägelschneiden ans Tageslicht gebracht haben?

Sei’s drum, ich nehme mir meinen Vater zum Vorbild. Er klopfte gern lockere Sprüche, wenn er uns als junge Familien beobachtete, wie wir uns über alles Informationen verschafften, lauter Dinge, über die sich seine Generation nie Gedanken gemacht hatte. Aus Respekt zu meinem Vater werde ich keine digitalen Suchmaschinen ingang setzen, um mich schlau zu machen, was das Fingernägelschneiden betrifft. A propos, mein Vater war nur wenige Jahre jünger als Joseph Beuys. In einer der Vitrinen im Darmstädter Block, der größten Beuyssammlung der Welt, gibt es ein Häufchen mit Finger- und Zehennägeln von Beuys. Ich kann mir nicht vorstellen, dass dieser berühmte Mann beim Schneiden seiner Nägel nennbare Fehler gemacht habe, ich erinnere mich jedoch, dass die Nägel sehr lang waren.

Da komme ich denn doch wieder ins Grübeln. Hat Beuys einen besonderen Grund gehabt, dass er seine Nägel so lange nicht geschnitten hat? Oder hatte er einfach keine Zeit?

Viele Fragen und ein Gruß, herzlich