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1995 ist eine Ewigkeit her

Dichterin und Menschenrechtlerin Maya Angelou

Vor 30 Jahren trug Maya Angelou zum 50-jährigen Jubiläum der Vereinten Nationen ein Gedicht über Krieg und Frieden und über ein Erwachen der Menschheit zu einer höheren Wahrheit vor. In diesem Gedicht träumte sie davon, dass weltweit die Gewehre von den Schultern fallen gelassen
 werden und Kinder ihren Puppen Fahnen anheften, die zum Waffenstillstand einladen. Sie träumte davon, dass auf der ganzen Welt die Landminen des Todes entfernt werden und Alte, Frauen und Kinder – und natürlich auch ganz normale Männer – ihre «Abende des Friedens» erleben.

Und sie erlaubte sich die Behauptung, «dass das größte Wunder der Welt der Mensch selbst ist, wenn er endlich in Frieden lebt.»

Gestern hörte ich im Radio, dass ein nahmhafter deutscher Politiker die zur Zeit diskutierte Loswahl zur Aufstockung deutscher Soldatenkontingente aus dem einen Grund in Frage stellte, weil es ja doch wohl passieren könnte, dass auch «Ungeeignete» ein Los ziehen würden. 

Wer aber ist geeignet und wer ungeeignet? Eugen Drewermann (*1940), der deutsche Theologe, Psychotherapeut und suspendierte katholische Priester hat darauf eine klare Antwort parat – ich muss sie nicht darstellen, sie liegt auf der Hand, wenn wir uns zu Gemüte führen, mit welchen Lebensimpulsen kleine Kinder auf die Welt kommen.

Das Leben stemmen

Zu meiner Frage (siehe Eintrag vom 29. Oktober), warum die Hochzeitsgesellschaft den überdimensionierten Mantel der Großmutter fraglos hingenommen habe, bekam ich folgende Zeilen zugeschickt, für die ich herzlich danke und die ich nach Rücksprache mit dem Absender hier weiterleiten darf:
 
«Gerade in familiären Beziehungen fällt es oft schwer, die nötigen und befreienden Fragen zu stellen, die Fragen, die der Mantel bedecken, verstecken möchte? Ich könnte von zahlosen Fragen berichten, die nie gestellt wurden […]. Die vielen Mäntel des Schweigens. Mit […] habe ich in diesem Jahr begonnen, zu unserer Familie Fragen zu stellen. Es sind Fragen, die von einem Mantel, ja Schutzmantel bislang bedeckt worden sind. Es befreit, wenn man beginnt, diese Fragen zu bewegen. Lernen aber muss ich, beim Stellen der Fragen – beim Ablegen des Mantels – den Schmerz, der dabei aufsteigt, zuzulassen, ihn, so wie er ist, zu spüren, ohne dass der Mantel ihn wieder bedeckt. Mit dieser Empfindung habe ich diese Tagegedanken gelesen und die Großmutter mit ihrem Mantel auf dem Bild angeschaut.»
 
Als ich diese Zeilen las, kamen mir plötzlich Weihnachtslieder in den Sinn, in denen Maria und das Kindlein, das sie unter ihrem Mantel trug (es wird ein vielleicht nicht gerade von Schaben zerfresssener, aber doch eher schäbiger Mantel gewesen sein), verehrt werden. – Mein Großmutter hieß auch Maria, und manchmal, wenn sie nicht mehr konnte und sich wieder einmal selbst in die Klinik einwies, pflegte sie mit der Hand auf sich zu zeigen und zu sagen: «Wie es da drinnen aussieht, das weiß halt niemand, und ich kann es nicht aussprechen.»
 
Das Leben der Großmutter ist deshalb noch keine umgekehrte Weihnachtsgeschichte, dünkt mich, denn wie die andere Maria, die ihr Leben auf eine wunderbare Weise  gestemmt hat, so hat auch «unsere» Maria ihr Leben mit Würde (und wenig Glanz) gestemmt.
 

Feier mit Mantel

Für manche Kulturikonen ist der Mantel ein Vehikel für ihre Bedeutung. Der Feldherr Napoleon und sein grauer Soldatenmantel, der englische Politiker (ich bin nahe dran, ihn auch Feldherr zu nennen) Winston Churchill mit wehendem Mantel und wehendem Hut, die Hermelinmäntel der Männervernascherin Katharina die Große. 

Alle diese Mäntel meine ich hier genau nicht – stattdessen bin ich wieder bei meiner Großmutter:


 

Die anderen Frauen trugen bei dieser Hochzeit schöne Kleider und Trachten, die Großmutter diesen Mantel. Und zog ihn nicht aus, bis die Feier vorbei war. 

Als ich kürzlich meine uralte Mutter fragte, warum bei ihrer Hochzeit (siehe Bilder) die Großmutter ohne ihren Mann und ohne ihre vier Töchter gekommen sei, wusste sie, die sonst alles erinnert, keine Antwort.

Großmutters Mantel bei dieser Feier war mit Sicherheit für alle Anwesenden sprechend. Doch hat sich auch nur eine oder einer von ihnen die Frage gestellt, wieso sie in diesem Kleidungsstück gekommen war? Ich glaube nicht…

Mit dieser simplen Feststellung, die vielleicht auch nur eine Vermutung ist, bin ich bei einem riesigen allgemeinen Kulturproblem angekommen, es lautet:

WARUM HABEN MENSCHEN SO WENIG FRAGEN?!!