Was geschieht eigentlich, wenn wir auf die anderen schauen? Sollten wir das überhaupt? Ist dieses «die anderen» nicht eine garantierte Fehlleistung, nicht nur im Gehirn, sondern auch im Solarplexus, in den Emotionen, auf der ganzen Linie?!
Nein, muss nicht sein, auch wenn die genannte Fehlleistung durchaus schnell passiert ist. Der Blick auf die anderen misslingt, wenn ich mich mit ihnen vergleiche, wenn ich sie für meine Laune verantwortlich mache, weil mir etwas nicht gelingen will oder wenn es mir ganz generell nicht gut geht und ich die Erklärung dafür bei anderen suche. Dann suche ich Sündenböcke und finde sie in den Stakeholdern der Konzerne, in kleingeistigen Angestellten hinter dem Schalter, im Bundestag.
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Bei Hölderlin waren die anderen die Götter. Er verglich sich nicht mit Menschen, sondern wandte sich ganz den Göttern zu, sehnte sich zu ihnen und suchte eine Sprache, um ihnen näher zu sein und um ihr Wesen, ihr großes, helles, warmes Wesen zu spüren. Und er nahm wahr, dass auch sie eine Sehnsucht hatten, weniger zu den anderen Göttinnen und Göttern hin, als vielmehr ausgerechnet zu uns. Da erklingt ein zarter Wechselgesang der höheren Art, in den Hölderlin sich auf Kosten eines gelingenden Lebens in den Niederungen der Menschenwelt eingeschwungen hatte.
Hölderlins Hinwendung und Sehnsucht holt noch etwas anderes an Licht, nämlich das Andere in ihm selbst: Die Hinwendung zum Göttlichen ist durch unsere Hinwenung zum Göttlichen in uns selbst bestimmt. Und somit passiert etwas Erstaunliches: Wenn wir über diesen Umweg auf Menschen schauen, gleich ob auf andere oder auf uns selbst, zeigt sich etwas bisher nicht Wahrgenommenes, Unerkanntes, das uns erwärmt und die verstockten Herzen zugeneigt macht.