Heute am Mittagstisch erzählte der Gast von einem Seminar mit einer berühmten Performerin, die sich mit Joseph Beuys und Rudolf Steiner beschäftigt. Sie habe erzählt, dass sie bei den beiden Geistesgrößen ihr Werk und die unproblematischen Seiten ihres Lebens von dem trenne, was man ihnen wegen ihres Nationalismus und Antisemitismus vorwerfe.
Für mich heißt das Geistesgrößen segmentieren. Da solche Größen, gerade auch die beiden genannten, aus manchmal geradezu kosmischen Dimensionen heraus ihr Werk und Leben gestalten, sind mit solchen Segmentierungen auch Limitierungen verbunden. Steiner und Beuys sind nicht mehr so groß wie sie es wären, würden die, die sich mit ihnen nicht nur auseinandersetzen, sondern sie überdies für ihr eigenes Tun benützen, nicht solche Trennungen vornehmen. Wer etwas Großes kleiner macht als es ist, um es besser überschauen oder gar – was nur ein Glaube, nicht ein Faktum ist – vestehen zu können, verliert den Überblick und das Verständnis für die Gesamterscheinung.
Meine Erklärung für ein solches meines Erachtens unerlkärliches Vorgehen lautet: Durch solche Dividierprozesse positionieren sich die so Handelnden auf der Seite der Gutmenschen. Sie machen andere zu Gutmenschen, um selbst in ihrem Dunstkreis gute Menschen sein zu können, wenigstens vor sich selbst, wenn auch vielleicht nicht vor dem kosmischen Andrang, der sich in manchen großen Geistern manifestiert.
Und meine Meinung lautet: Man darf, kann und muss solche Segmentierungen unterlassen! Sie beschwören die Wiederholung jener Gefahren herauf, die durch sie auszuschalten versucht wurde. Ihr Hintergrund ist Denkfaulheit, die Wirkung davon ist das, was wir heute miteinander erleben.
Ich bin bereit hinzunehmen, wenn ein Mensch aus persönlichen Gründen oder weil seine Familie oder sein Volk physisch oder seelisch gequält wurde, vor einer Figur wie Beuys Abstand nimmt, weil dieser weiße Mann den Wahnsinn des Naziregimes mitgemacht hat, doch dann sollte dieses Abstandnehmen auch genau so formuliert werden. Wenn sich Intellektuelle dieser Haltung aus Solidarität anschließen, sehe ich ein Problem darin, das anders gelöst werden muss.
Gruß