«Ich bin die Wahrheit, der Weg und das Leben» oder «Die Wahrheit wird euch frei machen». Wir kennen diese Sätze, sie tauchen in vielen Varianten und Kontexten auf und sind, egal wie wir zu ihnen stehen, Wachrüttler oder, wie Novalis bei manchen seiner tiefgründigen Sätze sagte, «Versenker».
Joseph Beuys operierte als Künstler mit diesen Sätzen und dehnte den darin enthaltenen Wahrheitsbegriff auf die Tiere und Pflanzen aus. Bäume zum Beispiel hätten mehr von dieser Wahrheit verinnerlicht als wir Menschen, deutete er in manchen seiner Werke an. Und er selbst trat wie einer auf, dessen eigener Weg von den Einschlägen dieser Wahrheit gekennzeichnet sei.
Anders ein anderer, ebenfalls Künstler und ebenfalls unvergessen wie Beuys, auch sonst übrigens in vielen Dingen dem Beuys ähnlich, nämlich angstfreier Soldat, Gegenwartsantenne, sensibel, deutsch: Heinrich von Kleist. Die beiden, hätten sie sich irgendwo im Krieg auf dem Felde getroffen, wären voneinander beeindruckt gewesen, wären vermutlich dicke Freunde geworden. Wir wissen es nicht. Doch das weiß ich, dass Kleist an der Wahrheitsfrage aufgelaufen ist wie die Titanic auf dem Eisgiganten, der sie versenkte. Kleist trug von Kants Diktum, wir könnten die Wahrheit nicht erkennen, eine solche Havarie davon, dass es mit seinem Leben zu Ende ging. Er nahm Kants Philosophie nicht als ein Diktum unter vielen anderen Dicta (?), sondern als die einzige Wahrheit. Dilemma über Dilemma und als Antwort darauf ein Pistolenschuss in den eigenen Mund in Richtung Schädel. Ein aufrechter Soldat weiß, wie man sich umbringt.
Es wäre unerquicklich, Kleist in den Tod nachzurufen, er habe sich geirrt, denn das mit der Wahrheit sei auf einem anderen Planeten gebaut. Erquicklich hingegen wäre es, diesen Planenten in sich selber zu bauen, ihn Wirklichkeit werden zu lassen, indem ich mit dem Bauen anfange. Die Wahrheit, die mich frei macht, ist nicht einfach da, sie zeigt sich mir schrittweise, schrittchenweise, und dies auch und eben genau erst dann, wenn ich mit dem Bauen angefangen habe. Mit dem Bauen kann jederzeit begonnen werden, doch das ist genau nicht der Punkt. Der Punkt ist, dass ich jetzt mit dem Bauen anfange, jetzt, nicht irgendwann später. Wenn ich nicht jetzt damit beginne, sind sofort alle die anderen Gedanken da, lauter sinnlose Gedanken, die verwandelt gehören, gehoben, in ein anderes Licht gestellt.
Gruß.