„Sorgen muss man ernst nehmen!“

Vor einigen Jahren nannte der Journalist Adam Soboczynski den Satz «Wir müssen die Sorgen der Menschen ernst nehmen» eine «schwer erträgliche Floskel», die aus der therapeutischen Praxis in die politische Debatte übertragen worden sei, dort allerdings schlichtweg nichts tauge. Er erinnerte an eine Videobotschaft, in der Angela Merkel sehr ernst und eindringlich sagte: „Sorgen muss man ernst nehmen, egal, wo sie auftreten.“

Laut Soboczynski ist das ein nicht nur schaler und leerer, sondern auch ein ziemlich gefährlicher Slogan, denn: «Sorgen ernst zu nehmen impliziert eben keineswegs, dass man gewillt ist, die Ursachen der Sorgen zu beseitigen.» Dieser «parteiübergreifende Satz» erlaube Politikerinnen und Politikern «durch seine kokette Unbestimmtheit» vor allem eins, nämlich von Sorgen, Nöten und Ängsten der Menschen so zu sprechen, dass diese ihnen gerade nicht genommen werden, denn in der Politik gehe es darum, «die eigene politische Haltung rhetorisch abzumildern» und «sich durch Unklarheit Handlungsoptionen zu bewahren». Abmildern? Bewahren? Ja, die Tatsache abmildern, dass Angst und Sorge verbreitet werden, um dann einen Zustand herzustellen, der Überwachung und Kontrolle rechtfertigt, dies wiederum deshalb, um Sicherheit und Freiheit zu bewahren. Ein Teufelskreis.

Ein Blick nach innen genügt: Wenn ich nicht achtsam bin, beschäftigen mich vielgestaltige Sorgen und Nöte, und gerade die Sorge, dass der Zeitartikel von Adam Soboczynski die gegenwärtige Situation treffend zum Ausdruck bringt, treibt mich besonders um.

Heute kam mir der Stempel auf einer alten Postkarte aus dem Jahr 1943 zu Gesicht. Das Ganze ist in Großbuchstaben gesetzt und großflächig über sieben Zeilen verteilt, als hätten wir es mit einem wunderschönen Gedicht zu tun: «DER FÜHRER KENNT NUR KAMPF, ARBEIT UND SORGE. WIR WOLLEN IHM DEN TEIL ABNEHMEN, DEN WIR IHM ABNEHMEN KÖNNEN.» Heute wissen wir Menschen (oder wir könnten und vor allem müssten wir es wissen), dass ein zu sorgloser Umgang mit solchen Dingen kein gutes Ende nimmt.

Dies bedenkend grüße ich, herzlich