Verschuben

Ja, richtig, «verschuben». Wahrscheinlich kommt das Wort noch aus Zeiten der K. & K. Donaumonarchie und war deshalb beim Länderübertritt vom Fenster aus zu lesen, als ich aus meinem Zugabteil blickte und unser Zug im Schneckentempo von Österreich nach Deutschland rübergerollt kam und an einer Stelle längere Zeit im Stillstand verharrte wie auf einem Nebengleis in einem alten Western.

Anscheinend hat dieses Signal eine Bedeutung. Als ich im Lexikon nachschlug, las ich: «Bei Verschubfahrten bedeutet das Signal ohne den mittig lotrechten weißen Streifen, dass die Zustimmung für die Verschubfahrt gegeben wurde. Mit den Streifen wird die Zustimmung zum Verschuben mit dem Signal „Verschubverbot aufgehoben“ gegeben. Auch alle Schutzsignale haben ein weiß-rot-weißes Mastschild.» – Da war ich geade eben noch so stolz, dass ich das Schild «Halt für Verschubfahrten» überhaupt entdeckt hatte, und nun stelle ich fest, dass ich keine kleinste Erinnerung an mittig lotrechte weiße Streifen habe, die es da auch noch irgendwo gegeben haben müsste. 

Und außerdem weiß noch immer nicht, was eine «Verschubfahrt» überhaupt ist.

Die Antwort ist leicht: Zugwagen werden auf ihrer Fahrt zum Bestimmungsort im Regelfall mehrmals verschoben – sowohl im Abgangs- als auch im Zielbahnhof und nicht selten sogar unterwegs, wenn Zugteile dran- oder vom Leitzug abgehängt werden. Ein erhöhtes Verschubfahrtsaufkommen gibt es auf den so genannten Verschiebebahnhöfen, die eigentlich Verschubbahnhöfe genannt werden müssten und mitunter die Bezeichnung «Bedienknoten» aufweisen.

Nun las ich das Schild «Halt für Verschubfahrten» allerdings auf einem ganz normalen Bahnhof, weder auf einem Verschiebebahnhof noch einem Verschubbahnhof und auch nicht auf einem Bedienknoten. Außerdem wurde dort, wo unser Zug angehalten hatte, weder ein Wagen dran- noch einer abgehängt.

Jetzt, wo ich der Sache nachgehe, überfällt mich ein Gefühl der Dankbarkeit, dass ich an dieser Achtungtafel und an vielen ähnlichen Schildern so sang- und klanglos vorbeigefahren und dennoch an meinem Zielbahnhof Kassel-Wilhelmshöhe angekommen bin. Und das erst noch pünktlich. Ich verstehe langsam die Welt nicht mehr.

Gruß