Die alte Dame sagte, sie würde das Buch nur mit mir zusammen lesen. Ich bon für sie irgenwie ein Zweifler oder Skeptiker. DIese Haltung scheint ihr bei diesem Engelbuch die richtige Voraussetzung für die nötige Verständigung zu sein. Mit irgendeiner schwärmerischen Tante – so ihre Worte – würde sie das Buch nicht lesen. Mir ging es ähnlich. Ich halte die Dame keinesfalls für eine schwärmerische Tante. Sie ist Mathematikerin, keine Zweiflerin oder Skeptikerin, sondern gedankenklar und für alles eher zu begeistern als für unkontrollierte Gedankenflüge.
Wir legten mit der Lektüre los und wurden schon bald über die Tatsache unterrichtet, dass Engel verschiedene Kleider und Farben tragen würden. Diese äußerlich sichtbaren Attribute gäben Aufschluss über ihren Stand und über das, was sie so tun. Wie in Goethes Pädagogischer Provinz, dachte ich, da tragen die Zöglinge auch Kleider und Farben, an denen ihre Lehrer und Vorgesetzten den Entwicklungsstand ablesen können. Nur, bei den Engeln ist das etwas komplizierter – oder auch wieder nicht.
Es gebe Engel in weißen Kleidern, las ich der Dame vor, verschiedenste Engel ganz in weiß. Dabei könne es vorkommen, dass zwei gleich aussende weiße Engel mit verschiedenen Aufgaben versehen seien. Es gibt an Engeln also verschiedene Wahrnehmungen von weiß. Bevor ich an dieser Bemerkung eine Frage entwickeln konnte, sagte die alte Dame: «Ist doch klar, Eiweiß ist auch etwas anderes als Schnee».
Ich sagte es bereits, meine Zuhörerin war eine gedankenklare Mathematikerin. Schnee mit Eiweiß zu verwechseln, da müsste sie erst mal draufkommen! Wieso sollte jemand wie sie verschieden weiße Engel durcheinanderbringen? In Sachen Engel gibt es, notabene, immer noch so etwas wie einen gesunden Menschenverstand.
Gruß