Buchenwald

Auch in den kleinen Dingen, gerade in ihnen, habe ich die Wahl.

Buchenwald. Ich gehe aus dem Haus auf einen Spaziergang und lasse meinen Gedanken freien Lauf. Schnell gerate ich in Denkschleifen. Ein hässliches Haus zieht meine Gedanken abwärts. Doch ich brauche gar keinen äußeren sinnlichen Anlass, um in meinen Gedanken in schlechte Energien abzudriften. Das Nachdenken über die Geschichte funktioniert genauso gut wie die kritischen vielen Gedanken über die letzten Nachrichten oder eben der Anblick eines Hauses.

Buchenwald, vielleicht kommt mir dieses Wort in den Sinn,  weil ich gerade in den Wald eintrete, oder es kommt eben zufällig, weil ich mit meinen Gedanken gerade bei den Verbrechen im Zweiten Weltkrieg angekommen bin. Vorgestern war Tag der Totalen Kapitulation, der 8. Mai, ein weltgeschichtlich denkwürdiges Datum, speziell auch in Deutschland.

Buchenwald nahe Weimar, da kenne ich mich gut aus, habe über die Geschichte des Konzentrationslagers gelesen, habe viel nachgedacht über den Satz des Germanisten Richard Alewyn, dem die Nazis wegen seiner jüdischen Großmutter die Karriere gekappt hatten. Er sagte später, als längst amerikanische Touristen nach Buchenwald pilgerten: «Der Weg nach Weimar führt über Buchenwald», will sagen, wenn es nur Goethe und Schiller gegeben hätte, gäbe es keine Touristen in Weimar, jedenfalls nicht so viele. 

Ich merke in diesem Moment, wie leicht es mir fallen würde, jetzt im Flow weiterzuschreiben über Buchenwald, über das Lagerleben, die Erschießungskommandos, das Außengelände, die Zeitschneise, die das KZ mit Schloss Ettersburg verbindet, überhaupt Schloss Ettersburg, seine atemberaubende Geschichte, und so weiter. Imre Kertész dürfte nicht fehlen, wie er als Jugendlicher in Buchenwald auf Halde kam, während gleichzeitig jenseits, also aus seiner Sicht außerhalb des elektrischen Stacheldrahts gleichaltrige deutsche Jungs von Lehrern der Hermann-Lietz-Schulbewegung in der Ehrfurchtslehre nach Goete erzogen wurden und glücklich durch den jungen Buchenwald pirschten.

Doch ich tue jetzt was anderes, ich spule die Wörter an den Anfang zurück und fange nochmals an:

Buchenwald! Wenn ich in diesen Tagen aus dem Haus und in den fußnahen Wald gehe, begrüßen mich Millionen frisch aufsprießender Buchenblätter. Sie ziehen ein zartes Grün vom Himmel bis unmittelbar über dem Waldboden. Dieser antwortet mit einem ebenso zarten, etwas anders eingefärbten Grün. Der ganze Wald ein hellgrünes Grundgeschehen, als wäre ich ein Kiemenatmer, ein Fisch auf dem Meeresgrund, einem grünen Meeresgrund, wo weit oben das Licht der Sonne hereinkommt und diese schimmernde Dunstwelt gebrochen beleuchtet. Jeder Atemzug in diesem Grün ist ein Glückserlebnis, tief, voll, gesund.

Es gibt nichts schöneres als einen in den Frühling sich ergießenden jungen Buchenwald. Chlorophyllschock. Und wie jung sie alle aussehen, die uralten Bäume, die weit nach oben ragen, genauso wie die bodennahen Frischlinge, die das Leben noch vor sich haben. Alle haben sie diese chlorophylltriefende Farbe an den zarten, hellgrünen Blättern, dieses sich verschenkende Leben, das wie Salatblättchen auf der Zunge zergeht.

Ich wünsche schöne Spaziergänge,