Die Zeit kennenlernen, indem wir die Zeit, die wir vor allem zu nutzen gelernt haben, vertun! Das ist ein großartiges und groß angelegtes Projekt. Nur indem wir sie vertun, werden wir der Zeit überhaupt erst wieder angesichtig. Nur durch ein unzeitgemäßes Verhalten werden wir zeitgemäß. Denn das Projekt ist voll ingang. Auch wenn ich vor allem dieses eine höre, dass nämlich Schulen, Krankenhäuser, Wohnstuben und Kinderzimmer digital aufgerüstet werden müssten, was eine Zeitoptimierung sei – das glaube ich nur sehr eingeschränkt –, bewirken Ausgangssperren bei gleichzeitiger Medienübermüdung einen neuen Umgang mit der Zeit. Dieser neue Umgang mit der Zeit trägt schon die neue Zeit in sich, eine entschleunigte, verdichtete, eine Zwiebelschalenzeit, die uns vor Begeisterung Tränen in die Augen treibt und Schicht um Schicht dem Kern unserer Existenz näherbringt. Wow, endlich wird die Zeit wieder zur Zeit.
Bekannte Räume kennenlernen, indem neue Lebensräume erobert werden, auch dies ist zur Zeit voll ingang. Dabei gibt es, ins Grobe gerechnet, zwei Möglichkeiten: Wir machen die hinlänglich bekannten Räume, in die wir eingesperrt sind, zu unseren Gefängnissen. Oder wir machen sie zu Klosterräumen. Und den Raum, in dem wir uns am meisten aufhalten (müssen), erheben wir zur Klosterzelle. Auch das Kennenlernen der bekannten Räume unter einem neuen Gesichtpunkt ist eine Erweiterung, eine Art Zu-Sich-Kommen und insgesamt eine Entschleunigung mit dem Effekt eines erhöhten Lebensgefühls.
Orwell 1984, das ist das eine Lebensgefühl, das uns seit längerer Zeit um die Ohren fliegt, Entschleunigung, Freiheit, Gestaltungslust im Denken, ist das andere.
Die Wahl fällt doch eigentlich nicht schwer, oder?
Herzlich