Bankrotterklärung

Lieber Herr Blume,

wie im Betreff angedeutet, will ich Ihnen mein Unbehagen ausdrücken über Ihr Kolloquium im Herbst zu Joseph Beuys. Ich denke, Ihre Absicht ist klar erkennbar gewesen. Sie hatten das Ziel, im offenen Dialog Positionen zusammenzuführen, die sich sonst eher auf getrennten Podien bewegen. Wenn das nicht rühmlich sein soll! Doch mir drängte sich die Erkenntnis auf, dass das heute nicht mehr geht, egal wie gut die Sache auch gemeint war und wie wahr es für das Vorankommen unserer Gesellschaft wohl ist, dass nur noch echte Dialoge das Schiff unseres Gemeinwesens auf Kurs halten. Doch es geht einfach nicht mehr. Sehen Sie das nicht auch so?

Es ist sogar noch schlimmer, denn die Veranstaltung hat nicht nur gezeigt, dass so etwas nicht mehr geht, sie hat sich auch und insbesondere auf Kosten des Werks von Beuys den Anschein gegeben, dass man sich nur die nötige Mühe machen müsse und dann sei so etwas möglich und für alle ein Gewinn. Doch wie soll das gehen, wenn sich die Worte in so unversöhnlichen Anfeindungen gegenüberstehen und es bei Wortgefechten bleibt, statt dass gemeinsam in den Werk- und Deutungskosmos des beuysschen Werkes einzudringen versucht worden wäre.

Mag sein, dass ich zu krass formuliere und Sie darauf bestehen, dass es Ermöglichungen und erfreuliche Zwischentöne gegeben habe. Ich habe das nicht erlebt, sondern nur vernüftelnde Gladiatorenkämpfe von verschieden gearteten, aber letztlich gleich argumentierenden Rationalisten. Ich habe deshalb die Frage, ob Ihr Versuch Joseph Beuys nicht letztendlich sogar geschadet hat.

Ich hoffe, Sie verstehen mich nicht falsch. Ich habe Ihnen an anderer Stelle deutlich und laut genug gesagt, wie sehr ich Ihre Arbeit schätze! Und ich schätze auch Ihren Umgang mit dem Werk von Joseph Beuys. Deshalb habe ich nicht den geringsten Anlass, Sie persönlich anzugreifen. Das käme mir nicht in den Sinn.

Mein Fazit ist, dass selbst ein integrer Wissenschaflter und Kunstvermittler wie Sie die Dinge nicht befrieden kann. Das klingt wie eine Bankrotterklärung an die Vernunft und an die demokratischen Spielregeln der Verständigung – klingt so und ist es wohl auch.

Meine Wertschätzung Ihnen gegenüber ist davon in keiner Weise betroffen und ich wünsche Ihnen weiterhin neue Ideen und neue Zugänge zu Beuys und überhaupt.

In diesem Sinne grüße ich und verbleibe, mit guten Wünschen,

herzlich