Unglücksstaffel (Folge 2)

«Gib immer den anderen Schuld an deinem Unglück»

Diesen Satz sage nicht ich zu dir. Du sagst ihn dir oft genug selber vor. Da biste gerade eben im Auto oder auch nur auf dem Fahrrad flink auf eine Kreuzung herangebraust gekommen und musst erleben, wie dir ein anderer die Vorfahrt nimmt. Du musst sogar scharf bremsen. Das wäre noch verkraftbar, so im Sinne von: kurz bremsen, über die Kreuzung an den anderen vorbei, und dann erst recht in ungebremstem Tempo weiter. Aber der dir da die Vorfahrt genommen, was schon ärgerlich an sich ist, der rollt, und das ist dann wirklich sehr ärgerlich, nun umständlich und langsam vor dir her. Und biegt in der nächsten Straße wieder ab, nämlich nach links, das dauert, weil er warten muss, bis der Gegenverkehr vorbei ist. Und du verpasst wegen dieses Idioten einen wichtigen Termin, was dir ganz objektiv ein mitteldramatisches Unglück beschert.

Das alles ist dann schon mehr als nur ärgerlich und die Schuld liegt eindeutig beim anderen. Denkst du. Was ein auch nur leicht veränderter Standpunkt zu diesem Vorfall zutage fördern würde, steht in einem anderen Buch geschrieben, doch ein solcher veränderter oder erweiterter Standpunkt würde die Schuld für das Unglück vielleicht in ein Glück verwandeln.

Doch da erweiterte Standpunkte nicht deine Stärke zu sein brauchen und da du im Tunnel des Alltags vor dir selbst davonrast, lässt du die Schuld beim anderen, mit dem Effekt, dass du in den Seilen deiner Gedanken hängst.

Ein Lachen und ein zweiter Blick auf den Vorfall vorhin auf der Kreuzung wäre die Lösung, und dies in der genannten Reihenfolge. Lachen beispielsweise deshalb, weil kein Unfall geschehen, weil die Sonne scheint, du bisher einen flotten Start in den Tag hattest. Und der zweite Blick hätte ergeben, dass du einen verängstigten alten Verkehrsteilnehmer vor dir hattest, der gar nicht bemerkte, was er getan hatte und den du in dein Herz schließen würdest, wenn du mit ihm sprechen oder etwas aus seinem inzwischen für ihn sehr beschwerlichen Leben erfahren würdest.

Und was den Termin betrifft, den du verbaselt hast, überleg doch nur einmal, was dir dadurch vermutlich alles erspart geblieben ist.

Also: Schieb dem anderen die Schuld nicht länger zu, und sprich am besten gar nicht mehr als Schuld.