Helge in den Katakomben

Gestern war ich in Deinem Konzert, Helge. Hier in Kassel, unten neben der Fulda auf der Hessen-Kampfbahn hinter der Orangerie. Beim Stichwort ‹Kassel› warst Du immer schon mit liebevoll geringschätzigen Tönen dabei, gestern sogar mit einem eigens dafür komponierten «Kassellied» (ein paar Akkorde und Clusters am verstimmten Flügel und dabei viermal hinterereinander abgehackt das Wort «Kassel» ins Mikro gebrüllt, mehr war’s denn doch nicht).

Ich hatte im Vorfeld dieses Konzerts mitbekommen, dass Du in diesen kunstfeindlichen Zeiten keine Lust mehr auf Konzerte hattest. Streaming und andere publikumsferne Kunstgriffe seien Deine Sache nicht. Ist ok bei so alten Herren, wie Du inzwischen einer bist, ist bei Peter Handke, der noch etwas älter ist, auch nicht anders, er mag die neuen Medien nicht, schreibt immer noch ohne PC, Notizblock und Bleistift seien erotischer. Und Du, Helge, findest echtes Publikum und echtes Rumschrammeln auf Deinen Instrumenten besser als Digitalplattformen und Playback…

Nun, ich bin im Nachhinein etwas demprimiert. Mit was für einem selbstauferlegten Maulkorb Du Dich durch Deine Show laviertest. Das war gekonnt, doch es war nicht der Helge, der triumphierend in die Öffentlichkeit zurückgekehrt ist, denn sonst wäre Dein gestriges Konzert anders ausgefallen. Ich hätte nicht nur gelacht (das habe ich und das ist in diesen Zeiten schon sehr viel wert), ich hätte auch Deinen gesunden Menschenverstand erlebt (doch den hast Du irgendwie hinter einem Schleier der Unverbindlichkeiten versteckt gehabt). Bist in den Katakomben geblieben, obwohl Du auf einer großen Bühne standest. Mir ist klar, Du würdest, je nachdem wie Du zu gewissen Öffentlichkeitsfragen Stellung bezogen hättest, nicht nur durch den Kakao gezogen werden, man würde Dich fertig machen, so sehr fertig machen, dass ich lieber heute etwas deprimiert bin anstatt Dich in Gefahr zu wissen. Du weißt, was Du tust. Ich fühle mich nicht autorisiert, das zu kritisieren.

Aber ehrlich, wenn das so weiter geht, geht das so nicht mehr weiter, auch nicht mit einer so freien Gestalt wie Du sie für immer warst. Ich hatte bis gestern noch bei keinem Deiner Konzerte im Nachhinein die Frage, wofür ich so viel Geld ausgegeben hätte? Gestern hatte ich sie.

Dennoch, lieber Helge, danke, vor allem für die Nummer an Deiner herrlichen Orgel, da habe ich für einen Moment lang alles um mich herum vergessen,

herzlich