«Im Grunde müsste ich freiwillig verzichten»

So gründlich an einer Sache vorbeireden kann nur, wer im Grunde keine Wahl hat.

Und Vincent Munier hat wahrscheinlich keine Wahl, weil er triebgesteuert ist. Sein Buch Zwischen Fels und Eis, eines der schönsten Bücher, das ich je in Händen hatte, endet mit den Zeilen: «Manchmal möchte ich laut hinausschreien: ‹Liebe Fotografenfreunde, fahrt nicht dorthin, weder zum Wolf noch zum Leoparden.› Ich wage, es zu schreiben. Ich verstehe die Anziehungskraft mancher Bilder. Auch meine ersten Reisen verdankten sich meist dem Zauber von anderer Fotografen Arbeit. Die letzten Refugien der Wildnis haben es verdient, dass wir ihrer Anziehung nicht erliegen, wenn wir sie bewahren wollen. Die Leidenschaft, die mich seit Langem beseelt, führt mich in eine Sackgasse. Im Grunde müsste ich freiwillig verzichten.»

So ehrlich und hilflos endet Muniers Fotobuch über den Schneeleopard in Tibet. Während ich dies lese, ist er vermutlich wieder irgendwo in der letzten Wildnis unterwegs und begegnet Wölfen oder Löwinnen in freier Wildbahn.

Was bedeuten, was sagen seine letzten, oben zitierten Sätze? Wieso verzichtet er nicht, könnte er ja ganz freiwillig tun – wäre er eben nicht triebgesteuert. Wieso geht er nicht zum letzten Mal und lässt sich fressen oder todbeißen oder oder?

Aus einer Sackgasse gibt es ein Zurück. Allerdings nicht für Munier, sein Im Grunde müsste ich freiwillig verzichten enthält das Zugeständnis, dass aus diesem schwachen «müsste» kein Handlungsimpuls entsteht.

Und dennoch tut mir dieser Schluss in seinem Buch gut. Er ist ungekonnt, unbeholfen, unerlöst, aber ehrlich. Wie anders habe ich die Bücher von Reinhold Messner in Erinnerung. Er sagt darin Ähnliches, aber mit einer anderen Nuance. Für meine Ohren sagte er, mit erhobenem moralischen Zeigefinger zwischen den Zeilen, ungefähr dies: Ich war da, das genügt. Ich war oben auf den Gipfeln der Achttausender! Ich habe das höchstpersönlich für euch getan. Lasst die Sache auf sich beruhen, fahrt da nicht hin, ihr seid es nicht wert. Wenn ihr da jetzt auch noch hinfahrt, zerstört ihr doch nur alles.

Während bei Munier eine ungelöste und für ihn unlösbare Aufgabe formuliert wird, klingt Messners Botschaft, wenn ich sie richtig verstanden habe, eher so wie diejenige des Königs aus dem Vorspann von Tausend-und-einer-Nacht – wenn er mit einer Jungfrau das Lager geteilt hatte, ließ er sie töten und nahm sich die nächste, denn kein Mann nach ihm sollte die Ehre des nur für ihn bestimmten Vergnügens haben.

Zwei unterschiedliche Arten menschlicher Selbstverständlichkeiten. Es sind zum Glück nicht die einzigen, die’s gibt,

herzlich