In der Nacht unterwegs

In den Nächten sind die Menschen so richtig unterwegs. Was sie am Morgen dann manchmal erinnern, ist erstaunlich bis erschreckend, manchmal besetzt es den ganzen Tag und nicht selten ist es schier unerträglich. Doch meistens wird es vom Wachbewusstsein vergessen, verdrängt, zurückgestoßen. Ade, der Alltag hat mich wieder.

Manche gehen fremd in der Nacht, ich meine im Traum, was sie sonst im Leben niemals tun, andere können fliegen und nutzen das weidlich aus, andere können unter Wasser atmen und tauchen tief in die Meere ab, mit einem Atemzug, die Tieftaucher-Weltrekordhalten hätten das Nachsehen.

Ich träume immer wieder von ganz wilden Landschaften. Ich komme dann irgendwo aus dem Himmel im freien Fall angeflogen und stürze wie ein Fallschirmspringer in Richtung Erdball, ohne Schirm auf dem Rücken, doch ohne bei der Landung zu zerschellen. Ich lande in den tausend Meter in den Abgrund stürzenden Fluten des Salto Ángel in Venezuela, nur fließt das Wasser in meinem Traum nicht in eine sanfte Ebene wie dort, sondern verschwindet über Trichter und tiefe Felsen in scharfen Wendungen ins Erdinnere. Da fliegen die mutigsten Wingsuit-Flieger hinein, wissend, dass sie im Erdinnern nicht mehr landen können und in dieser unzähmbaren Natur verschwinden wie eine Mücke, die ich beim Joggen eingeatmet habe. Ich weiß das auch, wenn ich im Traum dort hineinfliege, und weil ich das weiß, habe ich keinen Anzug an, auch keine Angst.

Wenn ich diesen Traum träume – einer meiner wenigen wiederkehrenden – dann habe ich, wenn ich aufgewacht bin und irgendwie und irgendwo durch meinen Alltag trotte, einige Mühe das Gleichgewicht oder die nötige Aufmerksamkeit auf die Dinge aufrecht zu erhalten. Das ist nicht schlimm, denn ich weiß, dass ich gerade aus einer Welt komme, die erlebt zu haben das Größte ist. Die Seele ist dann über einen solchen Cheat Day hinwegtröstet.

Angenehme Träume,

herzlich