In eigener Sache

Ich spreche von mir. Es geht um mein Älterwerden. Nun bin ich immerhin schon so alt, dass ich bei diesem Thema mitreden kann, deshalb die Zeilen, die nun folgen. Es ist ein kleiner bescheidener Versuch, der ins Innerste meines Lebens trifft.

Wie soll ich anfangen?

Mit der Feststellung, dass ich nun doppelt so alt bin wie der von mir verehrte Franz Schubert bei seinem Tod?

Oder damit, dass ich in einer Gesellschaft lebe, in der ich bald Rentenanspruch anmelden kann?

Vielleicht mit dem Satz eines Mannes, der sich bei einer Radiosendung zuschaltete? Bei der Sendung ging es um die Fußball-EM und um die Frage, ob das Event mit oder ohne Publikum stattfinden solle. Der Mann machte am Telefon den Vorschlag, man sollte die Tickets lauter alten Leuten schenken, die geimpft seien und gerne Fußball guckten. «Wer weiß,» meinte er, «für diese Ü-60-er ist es vielleicht die letzte EM und die hätten sicher Freude an einem solchen Geschenk.» Wie bitte, dachte ich, meine letzte EM? Ich fühlte mich ganz direkt angesprochen und war erschrocken. Ich würde mich definitiv wenig freuen, wenn ich in den nächsten Tagen ein solches Geschenk zugeschickt bekäme, es wäre wie ein Todesurteil. Aber warum denke ich so?

Warum sich erschrecken, wo ich doch doppelt so lang gelebt habe wie andere Menschen, die ein erfüllte Leben gehabt haben? Das ist das Thema für meine heutigen Tagesgedanken. Und ich halte es ganz bei mir, andere meines Alters mögen da ganz anders denken, von älteren Menschen gar nicht zu reden.

Zur Zeit denke ich oft darüber nach, dass das alles andere als normal sei, dieses Altwerden. Und dann diese Selbstverständnisse, mit denen ich lebe: Lebenslang verrentet sein, jederzeit Anspruch auf medizinische Versorgung pur, auf Hörgeräte, Augen-OPs, neue Gelenke und Organe, Sauerstoff so viel wie ich brauche, inklusive Wohnrecht, Essensrecht, Reiserecht, In-Ruhe-Gelassen-Werden-Recht und Vieles mehr.

Eine Gesellschaft, die solche großartigen Dinge verspricht, müsste mich zuallererst philosophisch auf diese paradiesischen Zustände, die allerdings nicht ewig dauern können, vorbereitet haben. Hat diese Gesellschaft aber nicht, hat sie überhaupt nicht – im Gegenteil, sie tut alles dafür, dass ich mir in Bezug auf meinen eigenen Tod lauter Illusionen mache. Hätte mich die Gesellschaft, die mir alle diese schönen Rechte zuspricht, auf meinen Tod vorbereitet, würde ich meinen Abgang von dieser Welt nicht mit Ewigkeitsansprüchen pflastern.

Vielleicht deshalb, weil ich einen Beruf wählte, der inzwischen nur noch wenig gilt, habe ich mir trotzdem die entsprechenden Gedanken gemacht und sage mir in regelmäßigen Abständen, dass meine so genannten Ansprüche weder selbstverständlich noch ewig sind und dass ich ihre Bedeutung weit niedriger einstufe als meine wirkliche tägliche Lebendigkeit, die ein Geschenk auf Zeit ist und nichts Entscheidendes hinzugewinnt, wenn ich mich mit meinen Privilegien einbalsamiere, indem ich für mich möglichst lange alle die Ablenkungen und Verführungen abschöpfe, die mir laut Gesellschaftsvertrag zustehen.

Ich merke, wie mir die Knie weich werden, wenn ich das schreibe. Aber was ich täglich in meinem Kopf und Herzen bewege, kann ich ja auch mal versuchen in Worte zu fassen.

Mit Gruß