Risse

Ideen würden im Vollzug ihrer Realisierung Risse bekommen, hat Martin Buber den Weg von Ideen zu ihrer Verwirklichung einmal zu beschreiben versucht. Ich habe stets geglaubt, diese Aussage sofort verstanden zu haben. Dieser Glaube setzt allerdings einen intakten Verstandesapparat voraus. Dieser wiederum fordert intakte Teilhabe an der Wahrheit. Denn die Wahrheit ist ja eine (platonische) Idee und wenn Buber recht hat, ist auf dem Weg von dieser Wahrheit zu meinem Verstehen der Idee ein Riss entstanden, eine Verschiebung, eben ein Riss.

Vielleicht ist deshalb ganz richtig, dass ich oben bei meiner vermeintlichen Erkenntnis über die Wahrheit von Bubers Aussage von Glauben und nicht von wahrheitsbasiertem Wissen geredet habe.

Die hier umständlich angeschnittene Sache betrifft selbstverständlich nicht nur meine Wenigkeit als unvollkommener Denker. Buber selbst muss sich die Frage genauso stellen. Was mag er gesagt haben, wenn er sagte, Ideen bekämen auf dem Weg zu ihrer Realisierung einen Riss? Wo nahm er diese Kenntnis her, wie kam sein Denken zu diesem Bild? Und wieso sagte er nicht beispielsweise: Ideen geraten bei ihrer Realisierung in eine Sackgasse? Oder, wenn er unbedingt den «Riss» in seinem Bild haben wollte, wieso sagte er nicht: Die Membran einer Idee kriegt Risse, sobald die Idee nicht als Idee stehengelassen, sondern zu verwirklichen versucht wird?

Meine Gedanken haben es inzwischen fertiggebracht, Bubers Aussage zu bestätigen. Meine Idee, über seinen Satz etwas zu sagen, hat Risse bekommen, gleich mehrere, vermutlich, ich weiß es gar nicht so genau. Solange ich nicht weiter über die Sache nachdachte, hatte ich Buber verstanden – zu verstehen geglaubt. Jetzt habe ich darüber nachgedacht und das Wild liegt zerrissen vor dem Jäger, der es lebend haben wollte.

Doch während mich ein solches Jagdbild traurig macht, bin ich über den Erkenntnisgewinn, den mir das Nachdenken über Bubers Satz gebracht hat, heiter und froh. Ideen und Gedanken hinterher zu denken, das macht (mir) (sichtlich) Laune.