The Point of no Return

«Denken ist eine Kunst, die den Menschen übersteigt», sagte Imre Kertész in seinem letzten Interview kurz vor dem Tod. Es ist ein mutiger Satz eines mutigen Denkers und  Menschen vor dessen Einbiegen in die Zielgerade des Lebens. Dadurch wird die schwer fassbare Bedeutung von Kertész‘ Aussage vermächtnishaft.

Mit Beuys ließe es sich so ausdrücken: Plastik, die der Mensch als Künstler ein Leben lang aus seinem Inneren heraus aufzurichten versucht, übersteigt ihn und macht ihn gleichzeitig aus. Denn Plastik bei Beuys ist Denken (Denken ist bereits Plastik, so lautete eine von Beuys‘ Ausstellungen), Denken als plastischer Prozess ist Kunst, die zur Sichtbarkeit drängt und sich als Kunst verwirklicht, als solche nie zu Ende kommt und deshalb im Wandel des Werdens bleibt.

Insofern ist jeder Mensch ein Künstler, bis in die Zielgerade, bis zum letzten Gespräch mit einem Gegenüber (es muss ja nicht in einem Interview sein, diese Form des Miteinander-Redens hat ihre sichtbaren Schwächen, weil Eitelkeiten mit im Spiel sind).

Ach wie atmen die Denkerinnen und Denker auf, wenn ihre Arbeit wie eine Kletterpartie in einem viele hundert Meter vom Wandfuß in den Himmel wegdrängenden Überhang beschrieben und zum kommunikationswissenschaftlichesnAmusement, das lernbar sei, zusammengeschnurrt wird. Ach wie erfolglos ist dieses Mensch-Werden doch letztendlich. Und wie unerläßlich ist es gleichzeitig, denn wir denken wir ja doch ständig, Denkerinnen oder Taxifahrer (über ihre Weisheit sind schon Bücher geschrieben worden), Superkluge oder Dumme (wobei gerade Joseph Beuys wieder einmal die Sache besonders gut getroffen hat, wenn er einmal sagte «Ich bin auf der Suche nach dem Dümmsten»; die Dümmsten sind, schneller als dein Verstand hinterher kommt, plötzlich die Klügsten).

Wir haben beim Denken stets den Point of no Return vor uns – und gleichzeitig hinter uns. Wir sind auf diesen Punkt bezogen, ohne ihn zu erreichen und ohne ihn hinter uns zu lassen. Neben dem Bergsteigen gibt es das Bergdenken. Mit ihm steigen wir über den Menschen hinweg, so jedenfalls fühlte sich die Sache für Imre Kertész an. Und wir?

Mit Gruß,