Weiß I

«Ich glaube an Engel, wie Du glaubst, dass jeden Tag die Sonne aufgeht.»

Dieser Satz ist eine Frucht meines gestrigen Besuchs im Altenheim. Diesen sonnenklaren Satz bekam ich dort aus dem Mund von jemand zu hören, der oder die allen Grund hatte jeglichem Glauben die rote Karte zu zeigen. Und nicht nur das, ich bekam auch gleich noch ein paar Engelerlebnisse erzählt. Wenn sich dafür der Zeitaufwand und das Testen, die angerubbelte Nasenhöhle, das Warten und Einatmen-Müssen fremdartiger, unangenehmer Gerüche nicht gelohnt hat?!

Und, ausgelöst durch das Ganze, kommt mir die lange vergessene Erinnerung an meinen Neni in Schiers, der ein nüchterner Maurer gewesen war von Beruf und im Leben wenig Federlesen mit heiklen Dingen gemacht hatte. Neni, der aufs Alter mit seinen gichtigen Händen Blumenvasen gemacht hatte mit Zement und kleinen Steinintarsien und der in seinen letzten Lebensjahren christliche Gedichte machte, als wäre er ein Leben lang unter dem Segel der Quäker oder Amish durchs Leben navigiert, was eindeutig nicht zutrifft. Von ihm wurde mir als Knabe immer erzählt, dass er auf dem Sterbebett einen drei Tage dauernden Kampf mit einem Engel gefochten und dann plötzlich gesagt habe: «Jetzt kann er reinkommen» – danach ins Bett zurückgefallen und tot.

Neben dem Ausspruch Ich glaube an Engel, wie Du glaubst, dass jeden Tag die Sonne aufgeht ist die Erinnerung an den lieben Neni – manche nannten ihn auch «Eeni» – in den Bergen ein weiteres Geschenk, das sich gestern im Altenheim zum Geschenk schnürte und heute nach dem Aufwachen bei mir obenauf lag.