Mein Algorithmus an Heiligabend

Will auf Youtube mal schnell schauen, was mir der Algorithmus für heute bereithält. Nur auf die Masken will ich gucken, ich schwör’s, und nirgends draufklicken.

Also, die Pole Position hat ein Einminüter mit Fußball, ich kann den Untertitel nicht entziffern, es ist Japanisch. Position 2 sämtliche Haydn Klaviersonaten mit einer Pianistin, die ich nicht kenne und die ich nicht freiwillig klicken würde, so wie das Foto daherkommt. Position 3 Weihnachtsoratorium mit Harnoncourt, da liebe ich beides, das Oratorium und den Dirigenten, obwohl ich sein Geschwafel nie verfolgt habe. Position 4 eine Einspielung von 54 Sekunden mit einem Skiakrobaten, der irgendwo outdoor den x-fachen Salto macht, vor zwei Tagen reingestellt, 113.390 Aufrufe. Den würde ich als erstes schauen, hätte ich mir nicht für heute Youtube verboten.

Die Auswertung: als Abschulnote bekommt mein Algorithmus von heute eine (3-), eigentlich nur eine (4+). Allerhöchstens. Eigentlich ist die Sache insgesamt ungenügend ausgefallen, aber ich will den Jungs eine Chance geben. Klar wär ich jetzt gern im Tiefschnee, das bin ich allerdings immer, also ist das schon mal ein sehr unspezifischer Treffer. Ich könnte auch noch ganz andere Dinge immer, du verstehst, oder (⛑😇😎, klar, es geht mal wieder um das Klettern), doch dafür kam auf keiner der zwanzig ersten Positionen auch nur das mittelmäßigste Angebot. Für mich heißt das, dass der Algorithmus, mit dem sie meine Seele kaufen wollen, nicht die kleinste Ahnung von meinem Unterbewussten zu haben scheint, eine ernüchternde Erkenntnis, fürwahr. Was Harnoncourt und das Weihnachtsoratorium betrifft, wie gesagt, das ist einigermaßen ok, zumal heute Heiligabend ist, aber was bitteschön ist daran merkmalspezifisch? Eigentlich nichts! Und Haydn, natürlich liebe ich seine Klaviersonaten, sogar sehr sehr, aber wie kommen sie auf diese Pianistin, die ich nicht kenne, wo doch jeder, nur anscheinen mein Algorithmus nicht, weiß, dass ich Haydn nur noch von Sokolov anzuhören bereit bin. Bleibt noch der Einminüter vom Fußball in japanischer Sprache (oder ist es Koreanisch, Chinesisch?), den klick ich vielleicht, wenn er morgen noch auf dem Display ist, äh nein übermorgen – morgen ist ebenfalls absolut Enthaltung, was das Netz angeht –, den würde ich mir gegebenenfalls zu Gemüte führen, wissend, dass es doch wohl ein ziemlicher Flop sein dürfte.

Also ich bin entschieden: (4+). Eher eigentlich (4-)! Das ist ein Superergebnis für meine Psyche. Ich gehe mit dem Gefühl hier weg, dass ich ein sehr interessanter Mensch und weitgehend unerkannter und ein durch keine Algorithmen reduzierbarer Zeitgenosse sei. Und wenn es nicht so sein sollte, so denke ich es trotzdem so und das mir einen glücklichen Tag.

Frohe Weihnachten! In Bälde werde ich wieder zu meinen Tagesgedanken zurückkehren…