Menschwerdungsverhinderung

Was habt ihr gestern gemacht? – Wir haben an der Menschwerdungsverhinderung gearbeitet.

Menschwerdungsverhinderung? Versteh‘ ich nicht! Was habt ihr denn nun gemacht? – Wir hatten Besuch.

Das versteh‘ ich erst recht nicht?!

Ich kann nur sagen, es war schön, der Besuch. Wir sagen, wenn der Besuch gegangen ist, oft: «Das war aber schön, unser Besuch.» Haben sich ja auch alle Mühe gegeben. Es war aufgetischt worden, leckere Sachen, Getränke, Süßigkeiten, Kuchenstücke zumeist und auch die Sahne fehlte nicht. Die Vorbereitung auf einen Besuch zeigt sich bei uns durch besonders feine Gerüche in der Küche. Gebäck wird aus dem Rohr geholt, Getränke zubereitet, Geschirr zusammengestellt. 

Doch nicht nur Leckereien für den Bauch, es gibt auch Leckereien in Form von Geschichten.

Wie schnell laufen diese Geschichten allerdings aus der Spur. Es wird übertrieben, verglichen, bewertet und abgewertet, ungenau erinnert, je mehr um den Tisch herumsitzen, umso schneller und hemmungsloser. Namen werden, genannt, Leute in den Senkel gestellt, entlarvt, denunziert, nicht offen, nicht aggressiv, sondern ironisch, gewissermaßen liebevoll. Und natürlich nur die, die nicht mit am Tisch sitzen. Die Vergiftung des Zuckers an den Organen, der mit dem Kuchenessen einsetzt, hat ihren Parallelprozess durch die toxische Wirkung des Erzählten auf unsere Seelen. Wir lassen sie baumeln und sich verheddern, unsere Seelen, schon Platon hat ins seinem Dialog Protagoras eindringlich davor gewarnt. Irgendwann öffnen wir dann die Fenster, um genügend Luft reinzulassen. Irgendwas stimmt da nicht, soviel merken die meisten…

Jederzeit gut gemeint, meistens schlecht gemacht, das nenne ich Menschwerdungsverhinderung.

Mit Gruß