Weiß III

Selbst ein Albino Eichhörnchen kann schon Stress verbreiten. Ich möchte es nicht in meinem Wohnzimmer antreffen, es verbreitet so etwas wie Angst.

Um wieviel ungemütlicher, oder, im wahren Sinn des Wortes, erhabener ist die Ausstrahlung eines blendend weißen Wolfs oder Hundes oder Pferds. Es gibt weiße Löwen, den Schneeleopard, heilige weiße Elefanten. Herman Melville bringt in Kapitel 42 seines Hauptwerks Moby Dick eine Synopse des WEISS und spürt der Frage nach, was die Farbe des Eisbärs, eines weißen Hais oder Moby Dicks, des weißen Pottwals, in unserer Seele auslöse, wenn wir eines solch ungewöhnlichen Tiers angesichtig würden. Auch spürte er der verstörenden Wirkung von Albinomenschen nach.

   Albinomädchen

  Albinojunge

Zu Melvilles Kapitel Weiß gibt es eine Anmerkung, in der der Icherzähler Ismael alias Herman Melville die Begegnung mit einem federweißen Albatros beschreibt. Ich dachte bisher immer: «Oh, wie fremd wird einem durch Melvilles Behandlung der Bibel der Inhalt der Bibel!» – Seit ich, eben erst, diese Anmerkung gelesen habe, denke ich jedoch: «Oh, wie total fremd ist mir Melvilles Buch selbst, in dem das Fremde der immer wieder und an den unerwartetsten Stellen zitierten Bibel auf den Text selbst übergreift und all das zu einer fremden Welt gerinnen lässt, was Ismael als seine eigenen Erlebnisse erzählt.»

«Ich erinnere mich des ersten Albatros, den ich gesehen habe», lese ich, «es war während eines langanhaltenden Sturmes, in Gewässern nahe dem Südlichen Eismeer. An einem Vormittag stieg ich nach meiner Freiwache unten zum dunkel überwölkten Deck hinauf; und dort, auf das Großluk niedergebrochen, sah ich ein königliches gefiedertes Wesen von makelloser Weiße und mit dem stolzen Hakenschnabel des römischen Adlers. Hin und wieder wölbte es die Cherubsfittiche in hohen Schwüngen, als wollte es eine heilige Lade decken. Von wundersamen flatternden Schauern durchbebt, wenn auch äußerlich unversehrt, stieß es Schreie aus wie eines toten Königs Geist im Übermaß der Qual. Durch seine über alle Worte fremden Augen meinte ich in Geheimnisse zu spähen, die in Gottes Händen ruhen.»

Klingt doch fremd wie eine Geschichte aus der Bibel, klingt es nicht?!

Und jetzt die bange Frage: Würde irgendeiner von uns Heutigen hören, was da gehört, sehen, was da gesehen wurde? Und letzte Frage: Wer hat heutzutage in seiner Seele noch für eine «über alle Worte fremden» Erscheinung platz? Bitte Finger in die Höhe. Wenn auf diese Fragen nur ein Achselzucken käme, hielte ich uns für verloren, doch obwohl ich das nicht denke und mit dem Guten rechen, kann ich nicht glauben, dass die Finger zum Ja allzuschnell nach oben gehen werden.